Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
entgegnete Liv. »Beim Essen sitzen zu können ist für mich schon der reinste Luxus. Ich möchte mich noch für die Einladung bedanken«,
fuhr sie fort, als der Maître sich entfernt hatte. »Es passiert nicht oft, dass mir mitten am Tag eine vergnügliche Stunde wie diese vergönnt ist.«
»Welche sich selbstverständlich als teilweise geschäftliche Besprechung rechtfertigen lässt.« Myra lachte über Livs verlegenen Gesichtsausdruck. »Nein, nein, meine Liebe, denken Sie bloß nicht, dass mich das brüskiert. Warum auch? Das lag ja in meiner Absicht. So, und jetzt …« Sie lehnte sich vor wie ein General, der seinem Hauptmann einen Angriffsplan erläutert. »Jetzt müssen Sie mir erklären, welches spezielle Projekt Ihnen vorschwebt. Ich weiß, dass dem so ist; es entspricht einfach Ihrem Charakter.«
Liv lehnte sich zurück. Obwohl sie das Sherryglas in der Hand hielt, ließ sie es unangetastet. Sie war viel zu beschäftigt mit der Frau ihr gegenüber. »Myra, Sie hätten eine begnadete Reporterin abgegeben.«
Sie errötete geschmeichelt. »Glauben Sie das wirklich? Wunderbar. Ich bin nämlich von Natur aus sehr neugierig, wussten Sie das?«
»Ja«, antwortete Liv leise.
»So«, sagte Myra, mit den Händen eine fragende Geste beschreibend. »Was schwebt Ihnen vor? Erzählen Sie.«
Liv schüttelte lächelnd den Kopf. »Also schön. Ich denke da an einen News-Special, Sendezeit wahrscheinlich später Abend. An eine persönliche Reportage über Frauen in der Politik. Damit meine ich nicht nur Politikerinnen, sondern auch die Ehefrauen von Politikern. Wie sie mit den starken Belastungen ihrer Rolle fertig werden – Familie, Repräsentationspflichten, Reisen. Auf diese Weise, glaube ich, beide Seiten der Medaille beleuchten und Frauen vorstellen zu können, die aus unterschiedlichen Gründen mit der Politik verknüpft sind.«
»Ja …«, meinte Myra gedehnt, die Lippen nachdenklich geschürzt. »Das könnte recht interessant sein. Diese Politik kann einer Ehe nämlich mächtig zusetzen. Die Wahlkampagnen, die offiziellen Essen, das Protokoll. Lange Trennungen, nicht zu reden von dem psychischen und körperlichen Stress. Es ist der reinste Marathonlauf, meine Liebe. Ein endloser
Marathonlauf. Und die Frauen …« Sie lächelte in sich hinein und schwenkte den Sherry in ihrem Glas. »Ja, das könnte wirklich eine ganz interessante Sache werden.«
»Ich bin schon seit einigen Monaten mit Carl darüber am Verhandeln. Er ist der Chef unserer Nachrichtenredaktion«, erklärte Liv. »Ich glaube, er wäre nicht abgeneigt, meine Idee zu realisieren, vorausgesetzt, ich bin in der Lage, ihm ein detailliertes Konzept vorzulegen und einige gewichtige Namen zu präsentieren. Das Gespräch mit Amelia Thaxter auf dem Botschaftsempfang hat das Rad wieder in Bewegung gebracht.«
»Eine bemerkenswerte Frau«, kommentierte Myra und zog ein unglückliches Gesicht, als der Maître eine Schale mit Fruchtsalat vor sie hinstellte. Sie gehörte nicht zu den Frauen, die sich kasteiten, auch nicht auf gastronomischer Ebene. »Sehr engagiert und auf das Wohl ihrer Wähler bedacht. Ja, das liegt ihr ganz besonders am Herzen. Sie hat vor vielen Jahren eine Entscheidung getroffen: gegen die Ehe – für die Karriere. Ja, manche Frauen können oder wollen beides nicht vermischen.« Sie nahm ihre Gabel und spießte ein Stück Ananas auf. »Oh, nicht dass Sie glauben, ich plaudere Geheimnisse aus. Sie würde Ihnen das Gleiche erzählen, wenn Sie sie danach fragten. Ich kann mir vorstellen, dass Ihr Projekt sie sehr interessieren wird. Ja, und Margarite Lewellyn – sie spricht für ihr Leben gern über sich selbst. Dann wäre da noch Barbara Carp …«
Liv lauschte fasziniert, ohne ihren Obstsalat anzurühren, als Myra die Namen von einflussreichen Politikerinnen und von Ehefrauen der ganz hohen Tiere in Washington herunterrasselte. Das war sehr viel mehr an Information, als sie erwartet hatte. Und Myra begeisterte sich immer mehr für ihre Idee.
»Ach, wie aufregend«, schloss sie. »Ich glaube, das wird eine ganz tolle Sache. Sobald ich zu Hause bin, klemme ich mich sofort ans Telefon und knüpfe ein paar Kontakte.«
»Myra, das ist sehr freundlich von Ihnen«, begann Liv, die vor Überraschung kaum wusste, was sie sagen sollte. »Wirklich, ich …«
»Ach, Unsinn«, wiegelte Myra, mit ihrer Gabel fuchtelnd, Livs Dankesbezeugungen ab. »Diese Show vorzubereiten, erscheint mir sehr viel spannender, als eine Dinnereinladung
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