Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
zu
planen. Außerdem« – wieder legte sich dieses sonnige Lächeln auf ihr Gesicht – »rechne ich fest damit, dass Sie auch mir die Ehre eines Interviews zuteil werden lassen.«
»Diese Gelegenheit würde ich mir nicht entgehen lassen«, erwiderte Liv liebenswürdig. »Myra«, fügte sie hinzu und widmete sich jetzt ebenfalls dem Obstsalat, »Sie sind eine erstaunliche Frau.«
»Ich gebe mir Mühe. So, damit hätten wir den geschäftlichen Teil wohl hinter uns gebracht«, meinte sie mit einem selbstzufriedenen Seufzer. Sie mochte Liv. O ja, sie mochte sie wirklich. Und wenn Myra Ditmyer sich einmal eine Meinung über jemanden gebildet hatte, so war diese so unumstößlich wie der Urteilsspruch ihres Gatten. »Ich muss gestehen, dass ich bei den Vorbereitungen zu dieser kleiner Bridgerunde nicht die geringste Ahnung hatte, dass Sie und Greg sich von früher her kennen. Ich liebe Überraschungen.«
»Wir waren vor Jahren einmal sehr gut befreundet.« Liv stocherte in ihrem Obstsalat herum. »Es tat gut, ihn wieder zu sehen.«
Myra beobachtete Liv aufmerksam. »Ich sagte, ich war überrascht. Aber dann …« Sie bemerkte, dass Liv von ihrem Obstsalat hochblickte. »Ich brauchte nicht lange, um das Puzzle zusammenzusetzen. Als Greg im College war, erwähnte er in seinen Briefen öfter eine Livvy. Ich weiß noch, damals hoffte ich im Stillen, dass sich daraus eine hübsche kleine Romanze entwickeln würde. Denn angetan war er ganz gewiss von dieser Livvy.«
»Myra, ich …«
»Nein, nein, lassen Sie mich zu Ende erzählen. Greg war immer ein aufrichtiger Briefeschreiber. Eine Tugend, die unter jungen Männern nicht eben verbreitet ist. Er schrieb mir außerdem, dass seine Livvy leider mit seinem Zimmerkollegen in engerer Beziehung stand.«
»Das ist alles schon so lange her.«
»Meine Liebe«, sagte Myra begütigend und nahm Livs Hand. »Entschuldigen Sie bitte. Aber Greg war immer sehr offen in seinen Briefen an mich. Ich glaube, er brauchte jemanden, dem er sein Herz ausschütten und seine Gefühle anvertrauen
konnte. Und diese Gefühle waren sehr ernst in dieser Zeit. Er war unsterblich in Sie verliebt, und dabei war Doug sein allerbester Freund. Zwischen Ihnen beiden zu stehen, war nicht einfach für ihn. Und weil er so weit weg wohnte, hat er sich durch diese Briefe mit mir ausgetauscht. Ja, er hat mir alles erzählt.«
Der Blick und der Druck ihrer Hand sagten Liv, dass Myra das wörtlich gemeint hatte. Es gab anscheinend nichts aus dieser Zeit, dass sie nicht wusste. Liv starrte sie hilflos an.
»Kommen Sie, meine Liebe, nehmen Sie noch einen Sherry. Ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen und die Vergangenheit heraufbeschwören. Zum Glück lernen wir alle, mit den Unwägbarkeiten des Lebens fertig zu werden, nicht wahr?«, fuhr sie in lockerem Tonfall fort, als Liv zustimmend nickte. »Mit Verlusten, Schmerzen, Enttäuschungen. Tja, niemand wird so alt wie ich, ohne die ganze Skala durchzumachen. Es muss schrecklich für Sie gewesen sein. Wahrscheinlich glaubten Sie, diese tragische Geschichte nicht zu überleben.«
»Nein«, murmelte Liv. »Nein, da haben Sie Recht.«
»Aber Sie haben es geschafft.« Myra tätschelte noch einmal ihre Hand, lehnte sich dann zurück und wartete ab.
Vielleicht lag es an Myras Kunst, mit Menschen umzugehen, vielleicht an ihrem ernsthaften Interesse an ihnen, dass Liv auf Myras Schweigen offener reagierte als auf ein Dutzend gut gemeinter Fragen.
»Eine Weile glaubte ich, es sei besser zu sterben, als mit dieser Qual leben zu müssen. Damals schien es niemanden zu geben, der … na ja, meine Familie«, fuhr sie nach einem tiefen Atemzug fort. »Ich nehme an, sie haben versucht, mich zu verstehen; auf ihre Art waren sie mitfühlend, aber …« Sie unterbrach sich und stieß einen leisen Seufzer aus, der an Myras Herz rührte. »Ich wollte schreien; wollte irgendetwas kaputtreißen. Meine Wut loswerden. Sie haben dieses Bedürfnis einfach nicht verstanden. Solche Art von Schmerzen und Seelenqualen waren ihrer Meinung nach etwas Persönliches, das man unbedingt für sich behalten und mit Würde erdulden sollte.«
»Dummes Zeug«, wandte Myra empört ein. »Wenn man traurig ist, weint man eben. Und zum Teufel mit Menschen, die keine Tränen sehen wollen.«
»Ach«, lachte Liv. »Damals hätte ich jemanden wie Sie gebraucht. Dann hätte ich die Sache bestimmt nicht so vermasselt.«
»Dass Sie da etwas vermasselt haben, ist ganz allein Ihre Meinung«,
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