Der Anfang aller Dinge: Roman (German Edition)
spüren.
»Thorpe«, verlangte sie schroff, als sie die Nachrichtenzentrale im vierten Stock betrat.
Eine Reporterin sah hoch und legte gleichzeitig die Hand auf die Sprechmuschel ihres Telefonhörers, ehe sie antwortete. »In seinem Büro.«
Diesmal nahm Liv die Treppe. Sie rannte die Stufen hoch, ihre sonst so sorgfältig gewahrte Haltung und Beherrschung vergessend.
»Ms. Carmichael.« Die Rezeptionistin des Büros im fünften Stock sprang von ihrem Stuhl auf, als Liv an ihr vorbei durch den Empfangsraum rannte. »Ms. Carmichael!«, rief sie Livs Rücken hinterher. »Wen möchten Sie denn sprechen? Ms. Charmichael!«
Ohne anzuklopfen stürmte Liv in Thorpes Büro. »Sie miese Ratte!«
Thorpe hörte auf zu tippen und drehte sich zur Tür um. Eher fasziniert als verärgert beobachtete er, wie die unangemeldete Besucherin durch sein Büro stapfte. »Hallo, Olivia«, sagte er, ohne sich zu erheben. Er lehnte sich zurück. »Was für eine nette Überraschung.« Er sah im Augenwinkel die Rezeptionistin in der Tür stehen und schickte sie mit einem unauffälligen Kopfschütteln weg. »Setzen Sie sich doch«, forderte er Liv mit einer einladenden Handbewegung auf. »Ich glaube, ich hatte schon seit einem Jahr nicht mehr die Ehre Ihres Besuchs.«
»Sie haben meine Story gekillt.« Liv blieb, das Manuskript noch in der Hand, vor seinem Schreibtisch stehen.
Thorpe registrierte die Röte in ihrem sonst so blassen Gesicht, die nachtschwarze Wut in ihren sonst so ruhigen Augen. Ihre Frisur hatte den Sprint durchs Treppenhaus nicht unbeschadet überstanden. Sie schnaufte heftig. Thorpe war fasziniert. Wie weit, fragte er sich insgeheim, musste er gehen, damit sie ihre so sorgsam gehütete Maske ablegte? Er beschloss, es herauszufinden.
»Welche Story?«
»Das wissen Sie verdammt genau.« Sie stützte die Hände auf den Schreibtisch und beugte sich ihm entgegen. »Das haben Sie mit Absicht getan.«
»Ich tue die meisten Dinge mit Absicht«, stimmte er ihr freundlich zu. »Wenn Sie die Dell-Story ansprechen, Liv«,
fuhr er fort und suchte wieder ihren Blick, »das war nicht Ihre Story. Das war meine. Es ist meine.«
»Sie haben die Bombe eine Dreiviertelstunde vor meiner Sendung platzen lassen.« Livs Stimme klang schrill vor Wut, etwas, das er bei ihr noch nie erlebt hatte. Soweit er wusste, erhob Olivia niemals ihre fein modulierte Stimme. Eisige Kälte brachte normalerweise ihre Wut zum Ausdruck, nicht ein loderndes Feuer.
»Und?« Er verschränkte seine Finger und fixierte sie über seine aufgestützten Hände hinweg. »Möchten Sie eine Beschwerde bezüglich meines Timings vorbringen?«
»Sie haben mir nichts übrig gelassen.« Sie hielt ihr Manuskript hoch, zerknüllte die Seiten und ließ sie fallen. »Ich habe zwei Wochen an dieser Geschichte gearbeitet, seit Larkins Herzanfall. Und Sie haben sie in zwei Minuten zunichte gemacht.«
»Ich bin für Ihre Story nicht verantwortlich, Carmichael, sondern Sie selbst. Ich wünsche Ihnen mehr Glück für das nächste Mal.«
»Oh!« Liv ballte wütend die Fäuste. »Sie sind abscheulich. Ich habe stundenlang an dieser Story gefeilt, hunderte von Telefonaten geführt und mir dafür die Hacken wund gerannt. Und nur Ihnen habe ich es zu verdanken, dass die Recherchen zum reinsten Hindernislauf geworden sind.« Ihre Augen wurden schmal, und Thorpe registrierte, dass sich ein leichter Neu-England-Akzent in ihre Stimme schlich. »Jage ich Ihnen solche Angst ein, Thorpe? Haben Sie so viel Schiss um Ihr hochheiliges Revier und die mondäne Qualität Ihrer Berichterstattung?«
»Schiss?« Er hatte sich inzwischen erhoben und beugte sich so weit vor, dass ihre Nasen sich beinahe berührten. »Die Sorge, dass Sie in meinem Revier wildern könnten, raubt mir gewiss nicht meinen Nachtschlaf, da können Sie ganz beruhigt sein, Carmichael. Ich zerbreche mir nicht den Kopf über angehende Reporter, die versuchen, die Karriereleiter hinaufzuklettern, indem sie drei Sprossen auf einmal nehmen. Kommen Sie wieder, wenn Sie Ihr Lehrgeld bezahlt haben.«
Liv ließ ein leises Fauchen hören. »Kommen Sie mir nicht
mit Lehrgeld, Thorpe. Ich habe meins schon vor acht Jahren bezahlt.«
»Ha, vor acht Jahren sind mir im Libanon die Kugeln um die Ohren geflogen, während Sie in Harvard vor Football-Spielern in Deckung gegangen sind.«
»Ich bin nie vor Football-Spielern in Deckung gegangen«, versetzte sie wütend. »Aber das ist auch völlig irrelevant. Sie wussten es heute Morgen. Sie
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