Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
wer der Anwesenden sie wohl mit den Chlamydien angesteckt habe – oder wen Janice ihrerseits damit angesteckt hatte. Denn dass sich der Betreffende in der Trauergemeinde befand, schien Glitsky mehr als wahrscheinlich.
Als sich die Zeremonie dem Ende näherte, stahl er sich hinaus und wartete an der Tür, bis die Trauergäste an ihm vorbeikamen. Er wusste nicht, ob jemand ihn erkannte, und er konnte mit Sicherheit auch keine Feindseligkeit registrieren, die vielleicht auf seine Vorgehensweise bei den Ermittlungen zurückzuführen gewesen wäre.
Glitsky hatte Durbins Kinder und die Novios bereits am letzten Samstag kennengelernt, aber als die Familien nun als Letzte hinauskamen, konnte er mit eigenen Augen sehen, in welchem Ausmaß die traumatischen Ereignisse ihre Spuren hinterlassen hatten.
Kathy, die sich bei ihrer Rede noch tapfer geschlagen hatte, sah inzwischen eingefallen und aschfahl aus. Sie hatte ihre Töchter an den Händen und starrte mit feuchten Augen geradeaus. Ein paar Schritte dahinter, in fast schon zeremonieller Förmlichkeit erstarrt, folgte ihr Ehemann. Jon, der ältere Sohn, trat mit wutverzerrtem Gesicht durch die Tür und sonderte sich umgehend von der Trauergemeinde ab. Michael Durbin, der zwischen Peter und Allie folgte, rief ihm etwas nach, doch Jon drehte sich nur halb um, machte eine abfällige Handbewegung und ging weiter.
Glitsky hatte die Trauerfeier besucht, um seinen Beitrag zur Versöhnungsoffensive seiner Chefin zu liefern. Vielleicht, so die Überlegung, war ja ein Reporter des »Courier« oder »Chronicle« zur Stelle, der seine Anwesenheit als Teil der Ermittlungen interpretierte – und die drehten sich diesmal offensichtlich nicht um Ro Curtlee. Ursprünglich hatte sich Glitsky auch vorgenommen, Durbin zur Seite zu nehmen, um noch einmal sein Alibi und seine Beziehung zu Liza Sato abzuklopfen – so es denn eine gab. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, die Geschlechtskrankheit zu erwähnen, um zu sehen, wie Durbin darauf reagieren würde.
Doch als er die Familie in diesem aufgewühlten Zustand sah, Durbin zudem umgeben von seinen Kindern, nickte Glitsky ihm nur verständnisvoll zu und ließ sie alle zu den wartenden Autos ziehen.
»Ich glaube, du solltest Jeff Elliot zurückrufen.« Chuck saß auf der Küchenanrichte, trank ein Bier und redete auf Michael Durbin ein, während sich das Wohnzimmer mit den Trauergästen füllte. »Gib dem Typen vom ›Chronicle‹ ein Interview und geh in die Offensive.«
»Was soll mir die Offensive schon bringen?«, fragte Michael. Er hatte ein Glas mit Bourbon gefüllt und nahm einen Schluck. »Wie Peter heute Morgen richtig gesagt hat: Je erbitterter ich es abstreite, desto mehr wird es so klingen, als hätte ich etwas zu verbergen.«
»Mike.« Chuck legte die Hand auf die Schulter seines Schwagers. »Hör mir zu. Wir wissen, wer es getan hat, richtig? Ist dir vielleicht schon mal aufgefallen, dass in dem Marrenas-Artikel riesige logische Löcher klaffen? Wo sind beispielsweise all die Argumente, die auf Ro als Täter weisen? Hat sie erwähnt, dass du bei Ros Prozess der Sprecher der Geschworenen warst? Nein. Und dass Janice die Frau dieses Sprechers war? Nein. Oder den Mord an der anderen Frau, der Zeugin? Nein. Oder irgendeinen der anderen Gründe, die Glitsky veranlassen, sich auf Ro und nicht auf dich zu konzentrieren? Es gibt eine ganze Menge Dinge, die du Elliot erzählen könntest, die in der öffentlichen Diskussion bislang unterschlagen wurden. Denkst du nicht?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß überhaupt nicht mehr, was ich denken soll. Selbst Jon scheint inzwischen ja zu glauben, dass ich …«
Chuck schnitt ihm das Wort ab. »Nein, glaubt er nicht. Er ist nach dem Tod seiner Mutter nur mit den Nerven fertig, und wer will ihm das vorwerfen? Ich verspreche dir, dass er nicht wirklich glaubt, dass du etwas mit dem Mord zu tun hast. Mann, er ist achtzehn Jahre alt. Er ersäuft in Gefühlen, die er eigentlich lieber verdrängen möchte, und sucht nun einen Weg, wie er sie aus seinem System bekommt – und dann kommt Marrenas und bringt ihn auf eine Idee, und er projiziert nun alles auf dich.«
»So dumm ist er nicht.«
»Vielleicht nicht, aber er steht zurzeit völlig neben sich. Gib ihm Zeit, damit er wieder mit sich ins Reine kommt.«
»Eine andere Wahl hab ich wohl nicht. Ich weiß nicht mal, wo er sich aufhält.«
»Er wird zurückkommen, mach dir darüber keine Gedanken. Und in der Zwischenzeit rufst du den
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