Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
zum Trotz war Denardi eigentlich ein eher väterlicher, fast aristokratischer, in jedem Fall aber zurückhaltender Zeit genosse. Er hatte volles silbernes Haar, eine gesunde, wohl Solarien geschuldete Gesichtsfarbe und trug einen teuren italienischen Anzug mit goldener Seidenkrawatte. »Die werden ihre Aussage vom letzten Prozess auch dieses Mal vortragen.«
»Schon klar. Aber sie wird selbst nicht mehr im Zeugenstand stehen. Sie werden also ihre Aussage einfach vorlesen lassen?«
»Eine andere Möglichkeiten haben sie nicht.«
»Und wie aussagekräftig wird das sein?«
»Nicht so aussagekräftig, wie sie es sich wünschen würden. Und ich geben Ihnen ja recht, dass es ein eindeutiges Plus für uns ist. Noch lieber wäre mir aber gewesen, wenn sie noch am Leben wäre und wir sie überzeugt hätten, nicht auszusagen. Oder sogar ihre frühere Aussage zurückzuziehen. Damit wären dann auch automatisch alle Fragen aus dem Weg geräumt, die Ihre mögliche Beteiligung an ihrem Tod beinhalten.«
Ro verdrehte die Augen. »Wie oft muss ich noch sagen, dass ich …«
Denardi hob die Hand. »Verstehe ich ja. Ich bin nicht derjenige, der Sie beschuldigt, Ro. Aber der Zeitpunkt ihres Todes, eine Woche nach Ihrer Freilassung … Sie müssen zugeben, dass das etwas problematisch ist.«
»Ist nicht mein Problem, Herr Anwalt, und auch nicht Ihres.« Mit seiner gesunden Hand fischte er eine Muschel aus der Suppe. »In meinen Augen ist unser hauptsächliches Problem die andere Zeugin, Gonzalvez. Wir müssen sie finden und sie zur Änderung ihrer Aussage bewegen – oder dazu, dass sie überhaupt nicht aussagt. Sollte der Prozess wirklich in die nächste Runde gehen, wäre es fatal, wenn sie aus heiterem Himmel auftaucht und aussagt.«
»Absolut richtig. Aber wie ich schon bemerkt habe, ist sie nach dem letzten Prozess spurlos verschwunden. Und wenn es Ihre Eltern nicht geschafft haben, sie zu lokalisieren, dürfte es für jeden anderen praktisch unmöglich sein.«
Ro schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.«
»Und warum nicht?«
»Weil sie nicht richtig nach ihr gesucht haben. Sie wollten sie vielleicht etwas unter Druck setzen, wollten sie aus ihrem Job rausekeln, aber als sie einmal weg war, haben sie die Sache nicht weiterverfolgt. Es bestand auch kein Anlass mehr. Aber nun, für uns, sieht die Sache anders aus. Ihr Auftreten könnte das Urteil der Geschworenen völlig anders ausfallen lassen.«
»Die Möglichkeit besteht, ja.«
»Dann finden wir sie wohl besser!«
»Und wie stellen Sie sich das vor?«
»Sie haben doch Detektive, die für Sie arbeiten, oder?«
»Richtig. Mehrere.«
»Nun, warum setzen wir dann nicht einen auf sie an?«
»Es heißt, dass sie wieder in Guatemala ist, Ro. Was bedeuten würde, dass sie nicht wieder zu einem Prozess zurückkommen würde.«
»Ich sage ja nur: Warum gehen wir nicht auf Nummer sicher?«
Ungeachtet dessen, was er zu Arnie Becker gesagt hatte, war Glitsky mit seinem Tonband gekommen und hatte es auf Michael Durbins Schreibtisch gestellt. Die Tür war geschlossen, und der Publikumsverkehr im Schalterraum war nur noch als undefinierbare Geräuschkulisse zu registrieren. Beim Hereinkommen hatte Glitsky sofort Liza Sato wiedererkannt, und bereits zweimal hatte er aus den Augenwinkeln mitbekommen, dass sie an das Glasfenster getreten war, um sich einen Eindruck zu verschaffen, wie das Gespräch zwischen ihrem Boss und dem Cop verlief.
Sie hatten Durbins verspätete und arg gedrechselte Erklärung für sein spätes Erscheinen am Freitagmorgen bereits abgehakt. Durbin hatte noch einmal den Verdacht auf Ro Curtlee gelenkt, was Glitsky pflichtgemäß zur Kenntnis genommen und mit entsprechenden Fragen auch dokumentiert hatte. Nun, da diese Themen erschöpfend diskutiert worden waren, wollte er Durbin etwas mehr auf die Pelle rücken. »Da Sie ja bei der Anhörung waren, wissen Sie wohl auch, wie die Dinge zwischen Ro und mir zurzeit stehen, dass es eine Festnahme gab und so weiter …?«
»Natürlich.«
»Ich frage mich nur, warum Sie nicht schon bei dieser Gelegenheit auf mich zukamen und Ihren Verdacht äußerten?«
»Nun, Sie waren offensichtlich beschäftigt – und ich saß ganz hinten auf der Galerie; ich hätte lange gebraucht, um mich durchs Publikum nach vorne zu kämpfen. Und ich hatte ja auch nichts Besonderes, auf das ich Sie hätte ansprechen können.«
»Das war dann erst heute Morgen der Fall, als Sie mich anriefen. Was hat Sie zu dem Anruf
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