Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
Zettel vor sich. Geistesabwesend kraulte er Gert, die ihren Kopf auf sein Knie gelegt hatte.
Nach einer Weile – er hatte keine Ahnung, wie viel Zeit verstrichen war – wurde Gert unruhig und stupste mit ihrer Nase gegen sein Bein. Wie ein Zombie erhob er sich, legte ihr die Leine an, ging mit mechanischen Schritten zur Tür und in die Nacht hinaus.
Die Straße, in der Farrell wohnte, kreiste den Park praktisch ein, und er und Gert hatten für ihren Spaziergang morgens und abends eine festgelegte Route entlang der Peripherie, bevor sich dann Gert in die Büsche verdrückte, um ihr Geschäft zu machen. Das Innere des Parks, eigentlich nicht mehr als eine unbepflanzte Lichtung, war dunkel um diese Zeit, aber selbst in seinem abgestumpften Zustand hatte Farrell das unbestimmte Gefühl, dass irgendetwas anders war als sonst.
Er blieb stehen und spähte in den dunklen Park. Teile der Straßenbeleuchtung waren ausgefallen, und er konn te sich beim besten Willen nicht erinnern, ob sie in den letzten Tagen funktioniert hatten oder nicht. Direkt vor ihm gab es keinerlei Licht, weder im Park noch auf der umgebenden Straße. Am Ende der Leine fing Gert an zu jaulen. Farrell ging ein paar Schritte weiter, hielt dann aber erneut an.
Für eine Minute stand er still und lauschte in die Dunkelheit. Er hörte keine Geräusche und konnte auch keine Bewegungen ausmachen. Schließlich flüsterte er zu seiner Hündin: »Komm, Mädchen, lass uns lieber zurückgehen.«
Aber Gert, deren Rückenhaare sich inzwischen gesträubt hatten, zog an der Leine, knurrte und bellte dann etwas an, das sie offensichtlich im dunklen Nichts ausmachte.
Farrell hielt die Leine straff, zog Gert näher an sich heran und streichelte ihren Kopf. »Komm jetzt, komm.« Widerwillig ließ sie sich von ihm ziehen.
Als er wieder im Haus war, verriegelte er umgehend die Haustür. Er nahm ihr die Leine ab und ging in die Küche. Normalerweise lief sie dabei neben ihm her, aber diesmal machte sie kehrt, lief wieder zur Haustür und knurrte noch einmal nach draußen.
»Hey, entspann dich«, rief er. »Alles ist okay.« Er hielt sie am Halsband, öffnete die Tür und schaute noch einmal auf die verschlafene Straße hinaus. Es war nichts zu sehen.
Nachdem es ihm endlich gelungen war, sie zu beruhigen, ließ er sie in ihren winzigen Garten hinaus, wo sie ihr Geschäft verrichtete und sich dann auf ihr angestammtes Kissen in der Küche verzog. Farrell griff sich eine Flasche Knob-Creek-Bourbon, füllte ein großes Glas fast bis zum Rand, warf noch ein paar Eisstücke hinein und trank es in einem Schluck auf.
Seine Lebensgefährtin zu verlieren und sich Bösewichter hinter jedem Busch einzubilden – nein, das war nun wirklich nicht das, was er sich vorgestellt hatte, als er sich um das Amt des Staatsanwalts bewarb. Tief im Innern seines Herzens wusste er, dass er ein Leichtgewicht war. Er hatte durchaus seine sprachliche Begabung und kam mit Menschen aus allen sozialen Schichten klar, aber für jemanden mit besonderen Führungsqualitäten hatte er sich nie gehalten. Er hatte sich zur Kandidatur überreden lassen, weil er glaubte, die Strafverfolgungsorgane der Stadt in ein Zeitalter der Aufklärung führen zu können. Aus Sicht des überzeugten Verteidigers hatte er den Eindruck, dass die Polizei tatsächlich oft genug ihre Kompetenzen überschritt – besonders im Umgang mit Immigranten oder anderen Minderheiten. Und im Umkehrschluss hatte er viele Klienten verteidigt, die sicher Fehler gemacht hatten und keine Engel waren, die er aber – dank seiner Selbstsicherheit und einer Prise Galgenhumor – nie als Gefahr für sich oder die Gesellschaft empfunden hatte.
Wobei – eine Ausnahme gab es. Mark Dooher war jahrelang einer seiner engsten Freunde gewesen. Er war Anwalt wie Farrell, hatte aber in völlig anderen gesellschaftlichen Sphären gearbeitet: Zu seinen Klienten gehörte, neben anderen wohlklingenden Namen, auch die Erzdiözese von San Francisco. Als Doohers Frau bei einem Einbruch ermordet worden war, hatte die übereifrige Polizei – Abe Glitsky, um genau zu sein – eine Untersuchung eingeleitet, die in Farrells Augen nichts anderes als ein Kreuzzug gegen seinen Freund war. Als er schließlich wegen Mordes an seiner Frau angeklagt wurde, hatte Farrell die Verteidigung übernommen und in einem zermürbenden Prozess seinen Freispruch erreicht. Der Sieg über Amanda Jenkins, seine damalige Kontrahentin, markierte auch den Beginn einer Karriere, die ihn
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