Der Angeklagte: Thriller (German Edition)
kommt etwas überstürzt, aber wir haben gerade erfahren, dass unsere beiden Kinder am Wochenende nach Hause kommen. Vielleicht hast du Lust, mit Treya und den Kids am Samstag zum Dinner zu kommen? Ganz ungezwungen.«
Glitsky überlegte für einen Moment und sagte dann: »Sie sind alle bei Treyas Bruder in Los Angeles – was auch mit dieser Ro-Curtlee-Geschichte zu tun hat: Treya hat Angst, dass Ro den Kids etwas antun könnte.«
»Treya hat doch vor nichts und niemandem Angst«, sagte Frannie.
»In der Regel nicht«, räumte Glitsky ein, »aber Ro hat es geschafft. Sie hat wirklich Angst vor ihm.«
»Und wann will sie zurückkommen?«
»Das«, sagte Glitsky, »ist eine gute Frage. Ich hoffe, irgendwann einmal.«
Hardy reagierte sofort und beugte sich zu seinem Freund hinüber. »Nun mach mal halblang, Abe. Natürlich kommt sie zurück.«
Glitsky nickte gedankenverloren, als suche er eine Antwort auf Frannies Frage. Schließlich atmete er einmal durch und sagte: »Hoffen wir’s. Aber so sicher, dass ich drauf wetten würde, bin ich mir auch nicht.«
Als sie auf der Gegensprechanlage eine Stimme hörte, die behauptete, Michael Durbin stände vor der Tür, wusste Liza zunächst nicht, wie sie reagieren sollte.
Er hatte sie noch nie besucht, war nie hier in ihrem kleinen Apartment gewesen, das – ganz in der Nähe des Büros – an der Ecke Chestnut und Laguna Street lag. Es war nun schon über ein Jahr her, dass sie sich ernsthaft in ihn verliebt hatte. Das Gefühl war anfangs nicht mehr als gegenseitige Sympathie – sie hatte damals auch noch einen Freund – und hatte sich im Laufe des gemeinsamen Arbeitens zu einer echten Freundschaft entwickelt.
Aber dann, bei der vorletzten Weihnachtsfeier, waren sie nach dem gemeinsamen Dinner alle zu einer Billard-Bar in North Beach gefahren, und als sie sich hinunterbeugte, um ihre Kugel zu spielen – ihr Dekolleté war zwar unübersehbar, aber auch nicht aufreizend tief –, hatte sie bemerkt, wie er sie anstarrte. Janice war bereits nach Hause gefahren, und sie selbst hatte reichlich gebechert. Michael hatte gegrinst und mit den Schultern gezuckt, als wolle er sagen: Du hast mich erwischt. Nachdem sie sich einen Moment tief in die Augen geschaut hatten, war sie um den Billardtisch gegangen und hatte ihm ins Gesicht gesagt, dass sie ihn liebe.
Er sagte, er liebe sie auch, beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen so tiefen, leidenschaftlichen, hungrigen Kuss, dass ihre Knie schwach wurden.
Aber noch während sie sich im Arm hielten, schien ihm seine Situation klar zu werden. Er ließ sie los, sagte, es täte ihm leid und dass er es nie hätte tun sollen.
Am nächsten Montag hatte er sie zum Lunch eingeladen und sich ein weiteres Mal entschuldigt. Natürlich sei sie in seinen Augen attraktiv, natürlich möge er sie als Mensch, aber schließlich sei er noch immer mit Janice verheiratet und könne seiner Familie nicht den Rücken kehren. Er habe sich in einem schwachen Moment hinreißen lassen, aber mehr möge sie bitte nicht von ihm erwarten.
Wenn sie unter diesen Umständen nicht mehr bei ihm arbeiten wolle, habe er dafür tiefstes Verständnis und würde sich bemühen, ihr einen mindestens ebenso attraktiven Job zu vermitteln. Wenn sie hingegen bleiben wolle, wäre er mehr als glücklich, weiter mit ihr zu arbeiten, aber was in dieser Nacht passiert sei, würde sich nicht wiederholen.
Und das hatte es auch nicht.
Ohne zu zögern drückte sie nun auf den Türöffner. Sie trat aus der Tür ihres Apartments und sah, wie er aus dem Aufzug kam und sie anschaute. Als er vor ihr stand, warf sie sich in seine Arme. Für eine Weile standen sie unbeweglich da und hielten sich so fest, als ginge es um Leben und Tod.
31
Früher am Tag war Ro die Idee zu einem netten kleinen Spielchen gekommen.
Er hatte sich mit Tiffany über all die Veränderungen unterhalten, die in den Jahren seines Gefängnisaufenthaltes stattgefunden hatten – nicht nur die iPods und Smart-Phones und die ganze Technologie, sondern auch andere Umwälzungen, die den Alltag so substanziell verändert hatten.
Da waren plötzlich die riesigen Shoppingmalls und Discounter, wo man alle nur erdenklichen Produkte an einem Ort kaufen konnte, wohingegen die kleinen unabhängigen Buchläden beispielsweise völlig verschwunden waren. Wenn man heute ein Buch kaufen wollte, hatte Tiffany gesagt, habe man eigentlich nur die Wahl zwischen Borders und Barnes & Noble – und eine echte Wahl sei das
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