Der Angstmacher
Herzschlag überlaut. Blitzschnell entschloß sie sich dazu, ihren eigentlichen Plan zu ändern. Sally wußte auch, daß die Türen der Häuser in der Nacht nicht abgeschlossen wurden. Zur Not und für die Dauer mehrerer Stunden eignete sich ein solches Haus auch als Versteck für einen Toten. An den ursprünglichen Maßen der Häuser war nichts verändert worden. Die Menschen früher waren längst nicht so groß geworden, dementsprechend niedrig hatte man auch die Decken und Türeingänge angelegt.
Noch einmal schaute sich Sally um. Vielleicht konnte sie den Verfolger sehen, aber da war nichts.
Ihr kamen Zweifel. Sollte sie weitergehen oder die Leiche verstecken?
Sie entschied sich dafür, das Haus mit dem Toten zu betreten. Er war schwer auf ihrer linken Schulter geworden. Sein Gewicht schien mit der Zeit noch zu wachsen.
Sie lief auf die Haustür zu. Vor dem Gebäude wuchs kein Gras mehr. Der Boden war braungrau und mit vielen kleinen Steinen bedeckt, die unter ihren Füßen knirschten.
Die Haustür hing an zwei Scharnieren. Sie waren überdurchschnittlich groß und bestanden aus Eisen. Eine alte Klinke mußte ebenfalls nach unten gedrückt werden, um die Tür aufziehen zu können. Die Scharniere bewegten sich und knarrten häßlich. Sie gaben Geräusche ab, die einfach furchtbar waren. Sally bekam das Gefühl, daß sie kilometerweit zu hören sein müßten. Als sie die Tür weit genug offen hatte, schlüpfte sie in das dahinter liegende dunkle Haus. Sie mußte den Kopf einziehen und schleifte dennoch hinter dem Türbalken mit den Haaren über die Decke. Die Zimmer des Hauses waren wirklich sehr niedrig.
Wohin mit der Leiche?
Sally stand in einem Raum, der als Küche und Wohnzimmer gedient haben mußte.
Links entdeckte sie einen gemauerten Kamin. Daneben waren Holzscheite aufgeschichtet worden. Zwischen ihnen und der Hauswand befand sich ein Zwischen ra um.
Gerade groß genug, um auch einen loten verbergen zu können. Das hatte Sally Saler sehr schnell festgestellt. Sie umrundete den Holzstapel und ließ den starren Körper von ihrer Schulter gleiten. Der Tote schlug mit dem Rücken auf.
Sally zeigte sich zufrieden und nickte. Das war besser gegangen, als sie es sich hatte vorstellen können. Um ihren Mund zuckte ein Lächeln, in die Augen trat ein bestimmtes Leuchten. Sie sah sich voll und ganz auf der Siegerstraße.
Hinter den aufgebauten Stapel würde so leicht kein Besucher schauen. Die Leute interessierten sich für andere Dinge.
Sally schritt wieder zur Tür, die sie offen gelassen hatte. Sie schaute hinaus, sah nichts Verdächtiges und verließ das Haus. In wenigen Minuten würde sie das Heim oder die Pension wieder erreicht haben, sich ins Bett legen und die Augen schließen, in der Gewißheit, von einem außergewöhnlichen Schutzengel bewacht zu werden, der für andere ein Angstmacher war.
Das Mädchen überquerte den kleinen Platz vor dem Haus und wollte in die Wand eintauchen, als plötzlich, wie ein Phantom, vor ihr eine Gestalt erschien.
Gerard Dubois!
***
Sally hatte sich über sein plötzliches Erscheinen so erschreckt, daß sie nicht an sich halten konnte und aufschrie. Sie preßte ihre Hand gegen den Hals und wurde erst ruhiger, als sie das Lachen des jungen Musikers vernahm. »Was ist denn los, Sally?«
»Himmel, du hast mich erschreckt.« Sie gab sich zusätzlich Mühe, einen erschreckten Ausdruck in ihr Gesicht zu legen, während ihre Gedanken arbeiteten und sie nach einer Ausrede suchte. Wenn alle Stricke rissen, mußte auch Gérard das Schicksal des Jens Andersen erleiden, Schaazar war ihr wichtiger.
Er hob die Schultern. »Tut mir echt leid, Sally. Ich wollte dich nicht erschrecken.«
»Ja, schon gut.« Sie ließ ihre Hand sinken und strich fahrig durch das Haar.
»Aber mal eine Frage, Sally. Was suchst du eigentlich hier? Mitten in der Nacht gehst du spazieren und…«
»Ist das nicht meine Sache?« fragte sie patzig.
»Schön nur habe ich mir Sorgen um dich gemacht.«
»Du und Sorgen?«
»Ja.«
»Weshalb denn?«
»Weißt du, Sally, du hast dich so komisch benommen. Erst wolltest du nicht zur Feier kommen, dann hast du es trotzdem getan und bist auf dein Zimmer gegangen. Auch dieser Andersen ist verschwunden, und jetzt treffe ich dich hier im Wald.«
Sally war nur froh, daß er die Leiche nicht erwähnt hatte. Sie beschloß in die Offensive zu gehen. »Gib zu, Gérard, daß du mir nachspioniert hast. Gib es zu!«
»Nein, ich…«
»Doch!« Sie machte einen
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