Der Angstmacher
gehen und schlafen. Morgen warten besondere Aufgaben auf Sie. Die Proben werden nicht einfach sein.«
Dr. Erwin Kimmler ärgerte sich darüber, daß er so spät zurückgekehrt war. Man hatte ihn im Ort aufgehalten, es gab leider noch vieles zu besprechen, nur wenig war perfekt.
Als Dirigent mußte er auf Disziplin achten. Nicht nur beim Konzert, auch außerhalb.
Die Musiker zogen murrend davon. Einige gaben noch Bemerkungen ab, die Kimmler nicht gefielen. Er sagte nichts, wußte aber genau, wer gesprochen hatte.
Sally Saler gehörte zu den ersten, die die Treppe hinter sich gelassen hatten. Im Flur oben wurde sie von Gérard Dubois eingeholt.
»Moment mal«, flüsterte er, »sollen wir nicht bei mir auf dem Zimmer noch einen kleinen Gute-Nacht-Drink nehmen, oder bei dir?« Er schaute sie aus seinen großen, dunklen Augen bittend an.
»Nein, tut mir wirklich leid. Ich habe keine Zeit, außerdem bin ich hundemüde.«
»Na ja — okay. War nur eine Frage. Schlaf gut.«
»Danke, du auch.«
Sally wartete ab, bis sich der Flur geleert hatte, bevor sie ihre Tür öffnete. Rasch schlüpfte sie in das Zimmer, schaltete nur die Lampe am Bett ein - und sah den Toten.
Er lag halb auf dem Rücken und halb auf der Seite. Die zuletzt empfundene Angst stand in seinem Gesicht wie eingemeißelt. Selbst der Ausdruck in den Augen hatte sich nicht verändert. Sally schloß das Fenster, streichelte ihre Harfe und liebkoste sie sogar mit den Lippen. »Du hast mir geholfen«, flüsterte sie, »du bist die einzige, die mich nicht im Stich läßt. Auf dich kann ich mich verlassen, was immer geschieht.«
Sie hatte das Gefühl, als bekäme sie von der Harfe eine Antwort. Dabei war es nur die Stimme des Dämons Schaazar, die in ihrem Hirn aufklang.
»Vertraue mir, Kind, vertraue mir immer. Ich bin dein Schutzengel. Die Harfe, du und ich, wir gehören zusammen. Niemand wird uns trennen können, hast du verstanden?«
»Ja, ich habe dich verstanden.«
»Dann ist es gut. Tu jetzt, was du tun mußt. Du weißt, daß ich alles sehen kann.«
Sally schielte zum Bett, wo der Tote lag. »Ich… ich muß noch etwas warten, Schaazar. Ich möchte Ruhe haben, damit ich ihn aus dem Haus schleppen kann.«
»Ja, das brauchst du…«
Noch einmal strich sie über das Holz, dann nahm sie am Tisch Platz und wartete ab.
Ihre Kollegen waren zwar nicht betrunken, aber in einer sehr guten Stimmung. Das hörte Sally auch. Sie konnte noch nicht zu Bett gehen, sie waren zu aufgekratzt. Hin und wieder verließen sie die Zimmer und liefen über den Gang.
Dr. Erwin Kimmlers Schritte waren nicht zu überhören, als er die Treppe förmlich hochraste und einfach eine Zimmertür aufriß.
»Ich möchte, daß Sie sich jetzt in die Betten legen und schlafen!« brüllte er und riß jede Tür auf, auch die, hinter der die weiblichen Mitglieder des Orchesters schliefen.
Um deren Proteste kümmerte er sich nicht. Es war nur eine Frage von Sekunden, wann er auch Sallys Zimmer erreichen würde. Das Mädchen huschte zum Bett und löschte die Lampe.
Dann lief sie zur Tür, zog ihren Pullover aus und öffnete den Reißverschluß der Hose.
Als Kimmler die Tür aufdonnerte, stand sie dicht dahinter, den rechten Fuß halb vorgestreckt, so daß die Tür wieder zurückprallte und Kimmler sie fast gegen die Stirn bekam.
»Oh, Herr Kimmler, es tut mir leid, ich wollte gerade ins Bett gehen. Sie sehen ja, wie ich aussehe, ich…«
»Ja, ja, schon gut, schon gut.« Kimmler nickte hastig, zog sich zurück. Sally schloß aufatmend die Tür. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, hätte der den loten auf ihrem Bett entdeckt. Jedenfalls mußte die Leiche weg. Aber wie?
Einen Gehilfen hatte Sally nicht. Glücklicherweise war sie kräftig genug, um den loten aus dem Plans schaffen zu können. Das Gelände war groß, sie würde schon ein Versteck für ihn finden. Noch aber war es zu früh. Sie mußte warten, bis die Stimmen verstummt waren und die Kollegen im tiefen Schlaf lagen.
Sally schaute öfter als sonst auf ihre schmale Uhr. Nachdem die erste Stunde des neuen Tages vergangen war, wurde es ruhiger. Nur noch vereinzelt hörte sie Stimmen. Hin und wieder klappte eine Tür, wenn jemand vom Duschen zurückkehrte.
Das Gesicht des zwanzigjährigen Mädchens hatte sich verändert. Die Züge waren hart, beinahe schon grausam geworden. Ihre Augen hatte sie zu Schlitzen verengt, als sie auf die Tür zuschritt und sie behutsam öffnete. Der Blick in den Gang zeigte ihr, daß die Luft
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