Der Angstmacher
schreckliche Nachricht zutrug. »Man hat ihn gefunden — Jens Andersen, meine ich. Er lag hinter einem Holzstoß in einem der Häuser.«
»Und?«
»Er ist tot!«
Ich hatte es geahnt, dennoch traf mich die Nachricht hart. Sekundenlang ballte ich die Hände. Die Kehle kam mir vor, als hätte sie jemand zugeschnürt. »Haben Sie den loten gefunden?« fragte ich mit einer Stimme, die mir fremd vorkam.
»Nein, nicht ich.« Er hob die Schultern. »Es… es waren ausgerechnet Kinder, die ihn entdeckten. Sie wissen ja, Kinder sind neugierig. Sie schauten auch hinter den Holzstapel. Da sahen Sie ihn liegen.« Er verzog das Gesicht, als wollte er anfangen zu weinen. »Einfach schrecklich ist so etwas.«
»Und die Polizei?« fragte ich.
»Die ist bereits verständigt worden. Die Mordkommission.«
Ich starrte Dr. Kimmler an. »Haben Sie den Loten gesehen?«
»Ja, für einen Moment.«
»Fiel Ihnen etwas auf?«
»Wie meinen Sie das?«
»Haben Sie an der Leiche eine Verletzung entdecken können? Ich meine, eine Schuß- oder Stichwunde?«
»Nein, nichts dergleichen.«
»Und sein Gesichtausdruck?«
Der Dirigent nickte heftig. »Der war einfach schrecklich«, flüsterte er.
»Angstverzerrt. So etwas habe ich noch nie zuvor gesehen, glauben Sie mir.«
»Ja, ich weiß. Auch bei Sally Salers toter Mutter war dieser Ausdruck zu sehen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich habe sie selbst gesehen.«
Dr. Kimmler hatte nachgedacht, wie mir seine nächsten Worte bewiesen.
»Meinen Sie, daß Sally irgendwie an dieser schlimmen Sache beteiligt ist?«
Ich hob die Schultern. »Sie und ihre Harfe. Aber das wollen wir jetzt außer acht lassen. Hören Sie zu, Herr Dr. Kimmler. Sie werden der Polizei nichts von meiner Anwesenheit sagen — okay?«
»Weshalb denn nicht?«
»Ich habe meine Gründe. Möglicherweise gelingt es mir, den Mörder noch in den nächsten Stunden zu stellen. Auch wenn es nicht so aussehen mag, Jens Andersen wurde ermordet, und zwar auf eine unglaublich raffinierte und dämonische Art und Weise.«
»Was Sie alles wissen.«
»Noch ist nichts bewiesen. Sie werden in den nächsten Stunden von mir nichts hören. Wenn die Polizei verschwunden ist, melde ich mich wieder. Klar?«
»Sicher.« Er schaute auf die Uhr. »Ich muß den anderen Bescheid geben. Sie müssen schließlich wissen, was mit ihrem Kollegen geschehen ist.« Er schlug gegen seine Stirn. »Meine Güte, daß ausgerechnet mir so etwas passieren muß, das hätte ich nie gedacht.«
Gebeugt wie ein Greis ging er davon.
Ich aber verließ das Haus und suchte mir einen sicheren Platz. Es war kein eigentliches Versteck, sondern das Museum mit den breiten Glaswänden, dessen Ausstellungen ich mir anschauen wollte. Da würde ich am wenigsten Verdacht erregen…
***
Wer sich für Spielzeug, alte Puppenstuben und Kleider interessiert und auch Spaß an historischen Puppen selbst hat, sollte das Museum wirklich einmal besuchen.
Da kommt jeder Fan auf seine Kosten. Sogar ich ließ mich von den ausgestellten Gegenständen einfangen und bewunderte das, was sich Handwerker früher hatten einfallen lassen.
Manche Dinge waren regelrecht kleine Kunstwerke, besonders die Möbel in den Puppenstuben.
Die Mordkommission befand sich auf dem Gelände. Natürlich war es aufgefallen, aber die Polizeibeamten waren schon sehr bald abgezogen, bis auf einen kleinen Rest.
Auch ohne mit dem Arzt gesprochen zu haben, wußte ich genau, welche Diagnose er gestellt hatte.
Herzschlag. Und Herzschlag ist kein Mord. Wenigstens nicht beim ersten Hinsehen. Es ging bereits auf den Abend zu, als die Mordkommission endlich ganz verschwunden war.
Mich freute es besonders, daß Dr. Kimmler dicht gehalten hatte. Jedenfalls hatte mich niemand besucht und zum Verhör bestellt. Ich gab noch zehn Minuten zu, dann verließ auch ich das Museum, um der Herberge einen Besuch abzustatten. Die Musiker waren auf ihren Zimmern geblieben, Dr. Kimmler allerdings fand ich mit den Wirtsleuten im Gespräch.
Als er mich sah, entschuldigte er sich bei dem Ehepaar und kam schnell auf mich zu. »Danke«, sagte ich.
»Wofür?«
»Dafür, daß Sie dichtgehalten haben.«
Er grinste schmerzlich. »Man hat mich auch nicht nach Ihnen gefragt.«
»Haben Sie den Polizeikommentar hören können?«
Er legte die Stirn in Falten. »Eigentlich muß ich Ihnen bescheinigen, daß Sie so etwas wie ein Hellseher sind. Der junge Mann ist tatsächlich an einem Herzschlag gestorben, wie der Arzt feststellte.«
Ich nickte.
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