Der Anruf kam nach Mitternacht
sah jede der anderen ihren Schmerz an.
Sarah setzte sich der Frau gegenüber auf die Bank. Eve zog nervös an ihrer Zigarette, während sie Sarah eingehend betrachtete. Die Frau war schlank und hatte blondes Haar. Ihre grünlichen Augen wirkten müde und ihr Mund verkniffen. Ihre Hände waren in ständiger Bewegung. Alle paar Sekunden sah sie zur Tür hin, als rechne sie damit, dass jemand hereinkommen könnte.
»Sie sind anders, als ich Sie mir vorgestellt habe«, sagte Eve. »Und jünger, als er Sie beschrieben hat. Wie alt sind Sie? Siebenundzwanzig?«
»Ich bin zweiunddreißig«, antwortete Sarah.
»Oh, dann hat er nicht gelogen.«
»Geoffrey hat Ihnen von mir erzählt?«
Eve zog wieder an der Zigarette und nickte. »Natürlich. Er musste ja. Schließlich war es meine Idee.«
Sarah sah Geoffreys andere Frau entsetzt an. »Ihre Idee? Sie meinen … Aber warum?«
»Sie wissen überhaupt nichts über Geoffrey, nicht wahr?« Die grünen Augen sahen Sarah stechend an.
»Nein«, antwortete Eve mit einer Spur von Genugtuung, »ganz offensichtlich nicht. Ich nehme an, es kränkt Sie, dass ich Ihnen das so direkt sage. Aber mir scheint, Sie haben meine Existenz von ganz allein herausgefunden. Erzählen Sie, waren Sie denn mit ihm glücklich?«
Sarah nickte, doch die Augen brannten ihr plötzlich.
»Ja«, flüsterte sie. »Wir … wenigstens ich war glücklich. Was Geoffrey betrifft … Ich weiß nicht mehr, was ich denken soll.«
Eves Blick wurde für einen Moment weich. »Aber Sie haben ihn doch auch geliebt, nicht wahr?« Sie schaute auf ihre Zigarette, während sie die Asche abstreifte. Als sie aufsah, war ihr Blick wieder hart. »Wir haben also beide verloren. Das musste ja eines Tages so kommen. Das liegt in der Natur des Geschäftes.«
»Welchen Geschäftes?«
Eve lehnte sich zurück. »Es ist besser für Sie, wenn Sie nichts wissen. Aber Sie wollen es trotzdem hören, nicht wahr? Wenn ich Sie wäre, würde ich das alles vergessen und nach Hause fliegen, solange es noch möglich ist.«
»Wer ist Geoffrey?«
Eve atmete den Zigarettenrauch tief ein und sah in die Ferne, als hinge sie ihren Erinnerungen nach. »Ich habe ihn vor zehn Jahren in Amsterdam kennengelernt. Damals war er ein ganz anderer Mann.« Sie lächelte schwach, als amüsierte sie sich über einen besonderen Scherz. »Ganz anders meine ich wörtlich und im übertragenen Sinne. Er hieß Simon Dance. Damals arbeiteten wir beide für den holländischen Geheimdienst. Zu dem Zeitpunkt waren wir drei ein richtiges Team – Simon, ich und die andere Frau, unser Leitoffizier. Und dann haben Simon und ich uns verliebt.«
»Sie waren Spione?«
»Ja, so könnte man das nennen, lassen wir es dabei.«
Gedankenverloren starrte sie dem sich in der Luft kräuselnden Rauch ihrer Zigarette nach. »Wir waren erst ein Jahr zusammen, als einer unserer Aufträge fehlschlug. Wir hatten einfach zu viel Angst umeinander. Das darf nicht passieren, nicht in unserem Geschäft. Da ist der Auftrag alles, sonst geht es schief. Und so war es auch. Der alte Mann entkam uns.«
»Entkam? Lautete Ihr Auftrag, ihn festzunehmen?«
Eve lachte bitter. »Festnehmen? In unserem Geschäft hält man sich nicht mit Festnahmen auf. Wir löschen aus.«
Sarahs Hände wurden eiskalt. Das konnte gewiss nicht derselbe Geoffrey sein, über den sie hier sprachen. Nein, hielt sie sich vor Augen, damals war es ja noch nicht Geoffrey. Damals war er Simon.
»Der Alte überlebte also. Wir nannten ihn Magus, den Zauberer. Für uns war das allerdings mehr als nur ein Codename. Auf seine Art war er ein Zauberer. Dieser Fall hat uns erledigt.«
Eve zündete sich mit zitternden Händen eine neue Zigarette an. »Danach sind wir alle aus dem Geschäft ausgeschieden. Simon und ich haben geheiratet und eine Zeit lang in Deutschland, später in Frankreich gelebt. Wir haben zweimal unsere Namen gewechselt. Aber wir hatten immer das Gefühl, dass man uns auf den Fersen war. Wir wussten, man war hinter uns allen her. Auf Anweisung von Magus natürlich. So beschlossen wir, Europa zu verlassen.«
»Und gingen nach Amerika.«
Eve nickte. »Ja. Es ist wirklich alles so einfach. Simon nahm einen neuen Namen an. Er suchte einen Gesichtschirurgen auf. Seine Wangen wurden nach innen gezogen, die Nase verkleinert. Der Unterschied war verblüffend. Niemand hätte ihn je wiedererkennen können. Auch mein Gesicht wurde verändert. Simon war der Erste, der nach Amerika ging. Es braucht seine Zeit, um sich neue
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