Der Anruf kam nach Mitternacht
neben ihnen auf. Sie waren jetzt Seite an Seite. Gelähmt vor Angst starrte Sarah durch das Seitenfenster auf das Gesicht des Verfolgers. Sein blondes, fast weißes Haar fiel ihm in Fransen bis zur Sonnenbrille in die Stirn. Seine Wangen waren eingefallen, seine Haut bleich wie Wachs, und er grinste sie an.
Das Hindernis vor ihnen nahm sie nur im Unterbewusstsein wahr. Sie war von dem Gesicht des Mannes wie hypnotisiert, von seinem höhnischen Grinsen. Dann hörte sie, dass Nick scharf einatmete. Ihr Blick glitt zurück auf die vor ihnen liegende Kurve und den darin parkenden Wagen.
In diesem Augenblick riss Nick den Wagen nach rechts und damit in den entgegenkommenden Verkehr hinein. Reifen quietschten. Der Golf geriet völlig außer Kontrolle, als Nick den Fahrzeugen auszuweichen suchte. Aus dem Augenwinkel nahm Sarah vorbeirasende grüne Felder wahr und entsetzt hielt sie den Blick auf Nick gerichtet. Sie registrierte kaum das metallische Bersten und das Klirren von Glas irgendwo hinter ihnen.
Dann war auf einmal abrupt alles zu Ende. Mit weit aufgerissenen Augen starrten ein paar höchst erstaunte Kühe Sarah entgegen. Ihr Herz machte einen Satz, dann atmete sie erleichtert auf. Im selben Augenblick trat Nick wieder auf das Gaspedal und riss den Golf auf die Autobahn herum.
»Das wird sie aufhalten«, sagte er. Diese Bemerkung kam ihr reichlich übertrieben vor.
Sarah sah zurück. Der Peugeot lag im Feld auf der Seite. Im Matsch daneben stand der blonde Fahrer, der Mann mit dem hämischen Grinsen. Selbst aus der Entfernung konnte sie seine Wut erkennen. Dann wurden er und der Peugeot immer kleiner und verschwanden schließlich ganz.
»Alles in Ordnung?«, fragte Nick besorgt.
»Ja. Ja …« Sarah versuchte zu schlucken, aber ihr Mund war völlig ausgetrocknet.
»Eines ist offensichtlich«, stellte Nick mit einiger Befriedigung fest, »du kannst ganz gewiss nicht allein auf die Suche gehen.«
Allein? Der bloße Gedanke erschreckte Sarah. Nein, sie wollte nicht allein sein. Niemals wieder! Aber wie sehr konnte sie sich auf Nick verlassen? Er war kein Soldat. Er war Diplomat, ein Mann, der hinter dem Schreibtisch saß. Im Moment reagierte er ganz instinktiv, und nicht aufgrund von Erfahrungen. Und doch war er alles, was zwischen ihr und einem Mörder stand.
Die Strecke gabelte sich erneut. Canterbury und London lagen westlich. Nick hielt sich nach Osten und nahm die nach Dover führende Straße.
»Was machst du da?«, fragte Sarah und drehte sich bestürzt nach der vorüberfliegenden Abfahrt Richtung London um.
»Wir fahren nicht nach London«, erklärte er.
»Wir brauchen doch Hilfe …«
»Wir hatten Hilfe. Sie hat uns nicht viel genützt, oder? Eine recht dürftige Schutzbewachung!«
»In London sind wir sicherer!«
Nick schüttelte den Kopf. »Nein, das sind wir nicht. Man wird dort auf uns warten. Dieses ganze Theater beweist doch nur, dass wir uns nicht einmal auf unsere eigenen Leute verlassen können. Vielleicht sind sie einfach inkompetent. Aber vielleicht ist die Sache auch viel schlimmer …«
Noch schlimmer? Meinte er Verrat? Sie hatte gedacht, der Albtraum sei vorüber. Sie hatte geglaubt, dass sie einfach an die Tür der Botschaft in London klopfen könnten und sich dort in die schützenden Arme des CIA flüchten würden. Sie hatte nie die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass ausgerechnet die Menschen, denen sie vertraute, sie tot sehen wollten. Das alles ergab keinen Sinn!
»Der CIA würde doch seinen eigenen Mann nicht umbringen!«, bemerkte sie.
»Vielleicht nicht die Firma selbst. Aber jemand aus ihren Reihen. Jemand, der über andere Verbindungen verfügt.«
»Und wenn du dich irrst?«
»Verdammt, denk nach! Der Agent hat nicht einfach stillgehalten, als ihm jemand die Kehle durchschnitt! Er wurde überrascht. Es war jemand, den er kannte, dem er vertraute. Es muss ein Insider beteiligt sein. Jemand, der uns aus dem Weg haben will.«
»Aber ich weiß doch gar nichts!«
»Vielleicht doch. Vielleicht bist du dir darüber nur nicht im Klaren.«
Sarah schüttelte heftig den Kopf. »Nein, das ist verrückt. Es ist Wahnsinn! Nick, ich bin ein durchschnittlicher Mensch. Ich gehe meiner Arbeit nach, gehe einkaufen, koche mir das Essen … Ich bin doch keine Spionin! Ich bin nicht … nicht wie Eve …«
»Dann ist es an der Zeit, dass wir so zu denken lernen wie Eve. Wir beide. Ich bin auch ein Anfänger in diesem Geschäft. Und mir scheint, ich bin ebenso tief darin
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