Der Anruf kam nach Mitternacht
Schultern legte. Nick sagte nichts. Er stand nur da und gab ihr so das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit. Genau das brauchte sie von ihm: Schweigen. Und Wärme. Unten donnerte die Brandung. Sarah schloss die Augen und spürte Nicks Atem auf ihrem Haar.
Sie war mit Geoffrey verheiratet gewesen und hatte ihn doch nie richtig gekannt. Mit Nick dagegen schien ihr ganzes Dasein aufs Engste verbunden, obwohl sie ihn erst zwei Wochen zuvor kennengelernt hatte.
Plötzlich hatte sie den brennenden Wunsch, er möge sie in die Arme schließen und ganz fest halten. Nick war mit einem Mal ihr sicherer Hafen in dieser merkwürdigen Welt. Aber das war der falscheste Grund, um sich zu verlieben.
Sie entzog sich seinem Griff, drehte sich um und sah ihn an. Er stand ruhig und aufrecht vor ihr. Seine Augen hatten die Farbe von dunklem Rauch. Der Wind zerrte an seinem Hemd. Über ihnen krächzten die Möwen und schossen in silbrigem Sturzflug über das Wasser.
»Ich muss Geoffrey wiederfinden«, erklärte sie, und das Geschrei der Vögel übertönte beinahe ihre Worte.
»Und Sie können nicht mit mir kommen.«
»Sie können das nicht allein machen, Sarah, Sie wissen doch genau, was Eve passiert ist …«
»Die wollen nicht mich! Sie wollen Geoffrey. Und ich bin ihr einziges Bindeglied. Sie werden mir nichts tun!«
»Wie wollen Sie ihn finden?«
»Er wird mich zu finden wissen.«
Nick schüttelte den Kopf. »Das ist doch verrückt! Sie haben doch keine Ahnung, worauf Sie sich da einlassen.«
»Wissen Sie es? Wenn Sie es wissen, Nick, müssen Sie es mir sofort sagen.«
Er antwortete nicht. Er sah sie nur eindringlich an. Was weiß er eigentlich?, fragte sie sich. Ist er irgendwie in diese Sache verwickelt?
Sarah wandte sich um und ging weiter. Nick folgte ihr, die Hände in den Hosentaschen. An der Reihe der Briefkästen blieben sie stehen, dort wo die Whitstable Lane in den Pfad über die Klippen mündete. Ein alter Mann in einer Postuniform tippte grüßend an die Mütze und fuhr auf seinem Fahrrad den Pfad nach Margate davon. Er hatte soeben die Post eingeworfen.
Sarah griff in den Kasten von Nummer 25. Es lagen ein neuer Katalog und drei an Eve adressierte Rechnungen darin.
»Sie wird sie nicht mehr brauchen«, bemerkte Nick.
»Nein, wohl kaum.« Sarah steckte die Umschläge in ihre Handtasche. »Ich hatte gehofft, etwas anderes zu …«
»Was hatten Sie denn erwartet? Dass Geoffrey Ihnen einen Brief schreibt? Sie wissen nicht einmal, wo Sie anfangen sollen, nicht wahr?«
»Nein«, gab Sarah zu. Dann jedoch sagte sie trotzig: »Aber ich werde ihn finden.«
»Wie? Vergessen Sie nicht, da unten wartet der CIA auf Sie.«
»Ich werde sie schon abhängen. Irgendwie.«
»Und was dann? Was geschieht, wenn Eves Mörder auch hinter Ihnen her sein sollte? Glauben Sie etwa, Sie werden allein mit ihm fertig?«
Sarah beschleunigte den Schritt und ging Nick voraus. Er folgte ihr und hielt sie am Arm fest.
»Sarah! Seien Sie nicht unvernünftig!«
»Ich werde Geoffrey finden!«
»Dann lassen Sie mich mitkommen.«
»Warum?«, rief sie, doch der Wind verwehte ihre Worte.
Seine Antwort traf sie völlig unvorbereitet. Mit einer einzigen Bewegung zog er sie in die Arme. Ehe sie sich wehren konnte, ehe sie wusste, wie ihr geschah, presste er die Lippen auf ihren Mund. Die Intensität seiner Umarmung raubte ihr den Atem. Das Geschrei der Möwen schien sich zu entfernen. Es war, als trüge der Wind Sarah mit sich fort, bis sie nicht mehr wusste, wo sie war.
Wie von selbst legten sich ihre Arme um Nicks Rücken, und erwartungsvoll öffneten sich ihre Lippen. Nick küsste sie leidenschaftlich. Nichts war plötzlich mehr von Bedeutung, nichts außer Nick, dem Feuer seiner Lippen und dem Geruch des Meeres auf seiner Haut.
Die Schreie der Möwen kamen ihr wieder zu Bewusstsein, die Realität erfasste sie wieder. Sarah entzog sich seinen Armen, und Nick machte eine ebenso abwesende Miene wie sie, als wäre auch er von etwas Unerklärlichem überrascht worden.
»Wohl deshalb«, sagte er weich.
Sarah schüttelte verwirrt den Kopf. Nick hatte sie geküsst. Es war so schnell und unerwartet geschehen, dass sie noch kaum begriff, was das alles zu bedeuten hatte. So viel wusste sie jedoch: Sie hatte es sich gewünscht. Sie wollte Nick noch immer. Mit jeder Sekunde, die verstrich, wurde die Sehnsucht nach ihm größer.
»Warum hast du das getan?«
»Es ist einfach so passiert, Sarah, ich wollte es nicht …« Plötzlich wandte er
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