Der Anruf kam nach Mitternacht
bewegen, ohne groß aufzufallen. Und er ist gescheit. Wir könnten Schwierigkeiten bekommen.«
»Und die Frau? Kann sie sich denn ebenso gut anpassen?«
»Sie kennt keine Fremdsprache, soweit ich informiert bin. Sie ist gänzlich unerfahren. Allein ist sie völlig hilflos.«
Tarasoff betrat das Büro. »Hier ist die Anschrift. Es war eine Telefonkabine in der Innenstadt. Keine Chance mehr, ihn da noch aufzuspüren.«
»Wen kennt O’Hara in Belgien?«, fragte van Dam.
»Hat er vertrauenswürdige Freunde?«
Potter runzelte die Stirn. »Ich müsste seine Akte einsehen …«
»Und Dan Lieberman von der Konsulatsabteilung?«, schlug Tarasoff vor. »Er müsste doch eigentlich O’Haras Freunde kennen.«
Van Dam sah Tarasoff beifällig an. »Gute Idee. Ich bin froh, dass hier jemand mitdenkt. Was noch?«
»Nun, Sir, ich frage mich, ob wir nicht das Leben des Mannes nach anderen Möglichkeiten durchleuchten sollten …« Tarasoff fiel plötzlich der finstere Blick auf, den Potter ihm zuwarf. Schnell setzte er hinzu: »Aber Mr. Potter kennt natürlich O’Hara in- und auswendig.«
»Welche Möglichkeiten meinen Sie, Mr. Tarasoff?«, hakte van Dam nach.
»Ich überlege nur, ob er … nun, für jemanden anderen tätig ist.«
»Überhaupt nicht«, erwiderte Potter. »O’Hara ist ein Einzelgänger.«
»Aber Ihr Mann liefert einen guten Hinweis«, sagte van Dam. »Haben wir etwas bei der Überprüfung O’Haras übersehen?«
»Er hat vier Jahre in London gelebt«, sagte Tarasoff. »Da hätte er sich theoretisch zahlreiche Kontakte schaffen können.«
»Hören Sie, ich kenne den Kerl«, beharrte Potter.
»Er ist sein eigener Mann.« Van Dam schien ihn nicht zu hören. Potter hatte das Gefühl, gegen eine Wand zu reden. Warum fühlte er sich nur immer wie ein Außenseiter? Er hatte sich verteufelt angestrengt, ein guter Agent zu werden, aber das schien nicht zu reichen, jedenfalls nicht in den Augen von Männern wie van Dam. Was Potter fehlte, war Stil.
Tarasoff dagegen verfügte darüber. Desgleichen van Dam, mit seinem maßgefertigten Anzug aus der Savile Row und seiner Rolex. Er war klug gewesen, reich zu heiraten. Genau das hätte er, Potter, auch tun sollen. Eine reiche Frau heiraten.
»Ich will bald Resultate sehen, Mr. Potter«, erklärte van Dam trocken, während er sich seinen Mantel anzog. »Benachrichtigen Sie mich augenblicklich, wenn es etwas Neues gibt. Was Sie danach mit O’Hara machen, ist Ihre Sache.«
Potter runzelte die Stirn. »Hm … ich verstehe nicht ganz.«
»Ich überlasse es Ihnen. Aber machen Sie es diskret.« Van Dam verließ das Büro.
Sarah saß mit hochgezogenen Knien auf der harten Matratze und sah erneut auf ihre Uhr. Nick war vor zwei Stunden fortgegangen, und sie hatte die ganze Zeit auf den Klang seiner Schritte gehorcht, grübelnd und nachdenklich. Würde sie sich je wieder sicher fühlen?
Im Zug aus Calais hatte sie gegen ihre Panik ankämpfen müssen, gegen die Befürchtung, etwas Schreckliches könne ihnen bevorstehen.
Aber die Fahrt war ohne Komplikationen verlaufen, sie hatten Brüssel problemlos erreicht. Stunden waren verstrichen, in denen die größte, quälende Furcht langsam einer nagenden Angst gewichen war. Wenigstens im Augenblick war sie in Sicherheit.
Doch wo blieb Nick? Hoffentlich würde er zu ihr zurückkommen! Sie wollte an keine andere Möglichkeit denken.
Sarah stand auf und ging zum Fenster. Die Dämmerung legte sich über die Stadt. Über dem grauen Dunst schwebten die Dächer und Schornsteine Brüssels wie leblose Geister.
Sie knipste die einzige vorhandene, nackte Glühbirne an. Der Raum war klein und schäbig, ein winziges Loch im zweiten Stock eines heruntergekommenen Hotels. Sarah kam sich wie gefangen vor. Sie hatte das Bedürfnis nach frischer Luft, und vor allem nach etwas Genießbarem. Das letzte Mal hatte sie zum Frühstück etwas gegessen, und ihr Magen knurrte vor Hunger. Sie musste jedoch warten, bis Nick wiederkam.
Wenn er zurückkam!
Unten im Haus fiel eine Tür zu. Sie fuhr herum und lauschte den die Treppe heraufpolternden Fußtritten, die gleich darauf schwer durch den Korridor stapften. Ein Schlüssel wurde in das Schloss geschoben. Langsam senkte sich die Klinke, und die Tür öffnete sich quietschend. Sarah blieb gebannt stehen. Ein Fremder tauchte in der Tür auf.
Nichts an ihm kam ihr bekannt vor. Er trug eine schwarze Fischermütze, die er tief in die Stirn gezogen hatte. Im Mundwinkel hing achtlos eine qualmende
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