Der Anruf kam nach Mitternacht
dem sie vertraute und den sie liebte.
Seit Geoffreys Verschwinden war Nick zu ihrem Freund und Beschützer geworden. War das reiner Zufall oder geplant? Und seit er in London angekommen war, verbrachte er fast den ganzen Tag mit ihr. Weshalb?
Sie wollte es nicht glauben, aber die Antwort sprang ihr förmlich in die Augen: Überwachung.
Die Fahrt mit dem Bus schien ewig zu dauern. Den ganzen Weg über lag Nicks Hand auf ihrem Knie. Die Berührung schien ihr die Haut zu verbrennen.
Kaum hatten sie ihre Pension erreicht, ging Sarah in das Badezimmer am Ende des Korridors und verriegelte die Tür. Mit zitternden Händen wickelte sie die Rose aus. Unter der kahlen Lampe über dem Waschbecken las sie die Nachricht. Sie war in englischer Sprache und hastig mit Bleistift geschrieben.
Potsdamer Platz, morgen, ein Uhr. Vertrauen Sie niemandem.
Sarah starrte auf die letzten drei Worte: Vertrauen Sie niemandem … Die Bedeutung war unmissverständlich. Sie war sorglos gewesen. Jetzt konnte sie sich keinen Fehler mehr erlauben. Geoffreys Leben hing von ihr ab.
Hastig zerriss sie die Nachricht in winzige Fetzen und spülte sie die Toilette hinunter. Dann ging sie wieder zu ihrem Zimmer und zu Nick zurück.
Noch konnte sie ihn nicht verlassen. Erst musste sie Gewissheit haben. Sie liebte Nick O’Hara, und in ihrem Herzen wusste sie, er würde ihr wohl nie schaden wollen. Aber sie musste wissen, für wen er arbeitete.
Am nächsten Tag würde sie auf dem Potsdamer Platz die Antworten darauf finden.
»Wir fürchteten schon, du würdest es nicht schaffen«, sagte Nick.
Wes Corrigan wirkte nervös, als er sich zu Sarah und Nick setzte. »Ich auch«, murmelte er und warf einen Blick über seine Schulter.
»Ärger?«, fragte Nick.
»Ich weiß nicht genau. Das stört mich ja gerade. Es ist wie in einem alten Spionagefilm, man weiß einfach nie, wann die Gegner losschlagen.« Er rutschte tiefer auf seinen Stuhl, ein vergeblicher Versuch, sich zu verstecken.
Auf der Suche nach einem verborgenen Treffpunkt waren sie in das dunkle Café Krause gekommen. Ihr Tisch wurde von einer einzigen Kerze schwach erhellt.
Der Raum war voller Leute, die sich leise unterhielten und kein Interesse an ihrer Umgebung zeigten.
Ganz instinktiv suchte Sarahs Blick nach einem Hinterausgang. Falls etwas schiefgehen sollte, brauchten sie eine schnelle Fluchtmöglichkeit. Der Notausgang war deutlich gekennzeichnet, aber sie musste den ganzen Raum durchqueren, um dorthin zu gelangen. Daneben befand sich an der Wand eine schäbige Telefonkabine. Sarah prägte sich einen Weg durch die Tische und Stühle dahin ein. Drei Sekunden würde es wohl bis zum Ausgang dauern. Wenn ein Notfall eintreten sollte, wäre sie auf sich allein angewiesen. Auf Nick konnte sie nicht mehr länger bauen.
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie sehr sich ihr Leben verändert hatte. Noch vor wenigen Wochen war sie eine ganz normale Frau gewesen, die ein normales Leben lebte. Jetzt dachte sie über Fluchtwege nach.
»Ich sage dir, Nick«, sagte Wes, nachdem er sich ein Bier bestellt hatte, »diese ganze Sache gefällt mir überhaupt nicht.«
»Was ist passiert?«
»Nun, um damit anzufangen, du hattest Recht. Ich werde beschattet. Nicht lange, nachdem du gestern Abend fortgegangen warst, tauchte in der Straße vor meinem Haus ein Lieferwagen auf. Seitdem steht er da. Ich musste durch den Hinterausgang in eine Gasse entwischen. An diese Art Leben bin ich nicht gewöhnt. Das macht mich nervös.«
»Hast du etwas für uns herausbekommen?«
Wieder sah Wes sich um, dann senkte er die Stimme. »Zuerst habe ich noch einmal meine Akte über Geoffrey Fontaines Tod eingesehen. Als ich dich vor ein paar Wochen anrief, hatte ich alle Angaben vor mir – den pathologischen Befund, den Polizeibericht. Ich hatte einen ganzen Stoß Notizen, die Fotokopie seines Passes …«
»Ja, und?«
»Alles ist verschwunden.« Er warf einen kurzen Blick auf Sarah. »Einfach alles. Nichts ist mehr übrig. Nicht nur meine Akten, sondern auch aus dem Computer ist alles verschwunden.«
»Was hast du dann herausgefunden?«
»Über Geoffrey Fontaine? Nichts. Als hätte ich diese Akte nie angelegt.«
»Man kann doch die Existenz eines Menschen nicht restlos auslöschen«, wandte Sarah ein.
Wes zuckte die Schultern. »Aber jemand versucht es. Ich habe leider keine Ahnung, wer es sein könnte. Wir haben in der Botschaft zu viele Angestellte. Da kann es jeder gewesen sein.«
Sie unterbrachen das Gespräch, als
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