Der Anruf kam nach Mitternacht
Gesicht. Wo blieb die Frau? Ihr Herz klopfte heftig. Die Gruppe bewegte sich an der Berliner Mauer weiter, und die Stimme des Reiseführers wurde schwächer.
Dann hörte sie plötzlich die Stimme einer Frau, die im Vorübergehen leise etwas zu ihr sagte.
»Folgen Sie mir. Halten Sie Abstand.«
Sie drehte sich um und erkannte die Frau aus dem Blumenladen, die mit einer Einkaufstüte, die ihr am Arm baumelte, ganz normal weiterging. Langsam schlenderte sie auf die Linkstraße zu. Sarah folgte ihr in einiger Entfernung.
Nach drei Häuserblocks betrat die Frau ein Kerzengeschäft. Einen Augenblick lang zögerte Sarah auf dem Bürgersteig. Der Laden wirkte sehr dunkel, und durch die Schaufensterscheiben konnte man innen nichts erkennen. Schließlich entschied Sarah sich, das Geschäft zu betreten.
Der Laden war leer, die Frau nirgends zu sehen. Sarah zuckte erschreckt zusammen, als plötzlich hinter dem Verkaufstresen ein alter Mann aufstand. Er nickte ihr zu. »Geradeaus«, flüsterte er. Sie sah ihn fragend an. »Geradeaus«, wiederholte er und wies auf den hinteren Teil des Raumes. Sarah begriff.
Ihr Herz klopfte bis zum Hals, als sie an ihm vorbeiging. Sie durchquerte einen kleinen Lagerraum und trat dann durch den Hintereingang auf eine andere Straße.
Das Sonnenlicht blendete sie. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Vor ihr lag eine kleine Straße. Irgendwo zur Rechten musste der Potsdamer Platz sein. Sie konnte den entfernten Verkehrslärm hören. Wo war die Frau geblieben?
Das Geräusch eines sich nähernden Wagens ließ sie herumfahren. Wie aus dem Nichts war ein schwarzer Citroën aufgetaucht, der direkt auf sie zugerast kam. Ihr blieb keine Möglichkeit zur Flucht. Die Hintertür des Ladens war verschlossen. Die schmale Straße war so gut wie menschenleer. Panisch presste sie sich flach gegen die nächste Hausmauer. Gebannt blieb ihr Blick an der glänzenden Kühlerhaube des Wagens hängen, der näher und näher kam.
Quietschend bremste der Citroën vor ihr. Die Tür wurde aufgestoßen. »Steigen Sie ein!«, zischte die Frau vom Hintersitz. »Rasch!«
Sarah löste sich von der Wand und kroch in das Wageninnere.
»Schnell!«, rief die Frau dem Fahrer zu.
Als der Wagen mit einem Satz anfuhr, wurde Sarah gegen den Sitz gedrückt. An der nächsten Ecke bog er nach links, dann nach rechts und wieder nach rechts ab. Sarah verlor die Orientierung. Die Frau sah ständig über ihre Schulter zurück. Schließlich wandte sie sich an Sarah, nachdem sie festgestellt hatte, dass niemand ihnen folgte.
»So, jetzt können wir sprechen«, begann sie. »Sagen Sie, was Sie zu sagen haben.«
»Wer sind Sie?«, fragte Sarah.
»Eine Bekannte von Geoffrey.«
»Dann wissen Sie also, wo er ist?«
Die Frau antwortete nicht. Stattdessen sagte sie etwas in deutscher Sprache zu dem Fahrer. Er reagierte darauf, indem er links von der Hauptstraße abbog und am Rande eines stillen Parks entlangfuhr. Kurze Zeit später hielten sie unter Bäumen an.
Die Frau nahm Sarahs Arm. »Kommen Sie. Wir werden hier spazieren gehen.«
Zusammen schlenderten die beiden Frauen über den Rasen. »Woher kennen Sie meinen Mann?«, fragte Sarah.
»Vor Jahren haben wir zusammengearbeitet. Damals hieß er Simon Dance.«
»Wo ist er jetzt?«, fragte Sarah.
»Ich weiß es nicht.«
»Warum haben Sie mich dann hierher bestellt?«
»Um Sie zu warnen. Als Gefallen für einen alten Freund sozusagen.«
»Sie meinen Geoffrey?«
»Ja. In diesem Geschäft haben wir wenige Freunde, aber die, die wir haben, bedeuten uns alles.«
Sie gingen weiter auf eine Säule mit einem goldenen Engel zu. Sarah sah zurück und erblickte den schwarzen Citroën, der wartend am Straßenrand stand.
»Ich habe ihn zuletzt vor ungefähr zwei Wochen gesehen«, fuhr die Frau fort. »Das war ein Schock, sich nach all der Zeit wiederzusehen! Ich wusste, dass Simon aus dem Geschäft ausgestiegen war. Und doch stand er hier in Berlin vor mir und war wieder mittendrin. Er war sehr besorgt, weil er annahm, von den Leuten, für die er tätig war, betrogen worden zu sein. Er wollte von der Bildfläche verschwinden.«
»Betrogen? Von wem?«
»Dem CIA.«
Sarah blieb unvermittelt stehen. Sie war sehr erstaunt. »Er arbeitete für den CIA?«
»Sie haben ihn dazu gezwungen. Er hatte Talente … Er wusste Dinge, die für ihre Operationen außerordentlich wichtig waren. Aber zu viel ging schief. Simon wollte aussteigen. Er kam zu mir, weil er lebenswichtige Dokumente brauchte. Ich
Weitere Kostenlose Bücher