Der Anruf kam nach Mitternacht
Aufmerksamkeit wieder voll da.
»Mr. Wes Corrigan«, sagte er.
»Einen Augenblick, bitte.« Es gab eine Pause, ehe eine andere Stimme zu hören war. »Sie wollen Mr. Corrigan sprechen? Ich glaube, er ist nicht in seinem Büro. Ich werde ihn suchen lassen. Bleiben Sie bitte in der Leitung.«
Ehe Nick etwas einwenden konnte, war die Leitung tot. Fünf Minuten musste er warten, und dann, als er schon auflegen wollte, meldete sich die Stimme wieder.
»Es tut mir leid. Ich kann ihn nicht finden. Aber er muss jeden Augenblick zu einer Besprechung zurück sein. Kann ich ihm eine Nachricht übermitteln?«
»Ja, sagen Sie ihm, Steve Barnes habe angerufen. Es geht um meine Passschwierigkeiten.«
»Hat er Ihre Nummer?«
»Ja, er kennt sie.« Nick legte auf.
Verabredungsgemäß würde Wes jetzt das Gelände der Botschaft verlassen und Nick von außerhalb im Café Krause anrufen. Nick würde ihm fünfzehn Minuten Zeit lassen, um ihn zu erreichen. Falls kein Anruf käme, würde er es später noch einmal versuchen. Aber irgendetwas sagte ihm, dass er ein Risiko einging, wenn er zu lange auf den Anruf wartete. Der Wortwechsel beunruhigte ihn, und vor allem das Warten am Anfang seines eigenen Anrufes. Er sah auf seine Uhr. Es war Viertel nach zwei. Er würde bis halb drei warten.
Jemand räusperte sich. Eine junge Frau wollte das Telefon im Café Krause benutzen. Mit einem leisen Fluch trat Nick einige Schritte zurück und wartete im Schatten vor dem Notausgang, bis sie fertig war. Das Gespräch schien Stunden dauern zu wollen. Um ein Uhr fünfundzwanzig redete sie immer noch. Er hielt seine Armbanduhr hoch und tippte darauf, doch die Frau wandte ihm nur ihren Rücken zu. Schimpfend trat er von einem Bein auf das andere.
Plötzlich wurde die Tür des Cafés geöffnet, und ein Mann in einem dunkelgrauen Anzug trat ein. Er blickte sich suchend um und kam dann durch die Reihen der Tische auf Nick zu. Etwas an der Art, wie der Mann seine Hand in der Tasche hatte, sagte Nick, dass er Schwierigkeiten bekommen würde.
Nick fasste hinter sich und versuchte die Tür zu öffnen. Sie war verschlossen. Der Mann machte drei schnelle Schritte auf ihn zu und blockierte ihm den Weg. Mit einer eindeutigen Bewegung hob er die Hand in der Tasche, und die Spitze einer Waffe zeichnete sich durch den Stoff ab.
»Ganz ruhig, O’Hara!«, zischte Roy Potter. »Wir wollen kein Aufsehen erregen!«
Nick sah sich hastig nach einer anderen Fluchtmöglichkeit um. Die Frau schwatzte noch immer und hatte ihm den Rücken zugekehrt. Potter stand so, dass Nick weder nach hinten noch mit einem Satz nach vorn zwischen die Tische gelangen konnte.
»Kommen Sie ganz unauffällig mit mir hinaus«, sagte Potter drohend. »Machen Sie schon, gehen Sie vor! Und keine falsche Bewegung, oder ich schieße!«
Er trat einen kleinen Schritt zur Seite und forderte Nick mit einer ruckartigen Kopfbewegung auf vorzugehen. Mit unbeweglicher Miene sagte Nick: »Ich muss noch bezahlen.« Er hoffte, so vielleicht eine Möglichkeit zu finden, Potter zur Seite stoßen und fliehen zu können.
Potter griff mit der linken Hand in seine Jackentasche und zog ein Bündel Geldscheine heraus. Dann wies er Nick mit einem finsteren Blick an, sich in Bewegung zu setzen.
Zögernd ging Nick vor Potter her. Keiner der wenigen Gäste schien sie zu beachten. Im Vorbeigehen warf Potter eine Banknote auf Nicks Tisch.
Kurz vor dem Ausgang zischte Potter leise: »Sie haben keine Chance. Wir werden erwartet.«
Als Nick die Tür öffnete, sah er vor sich auf der Straße einen Wagen mit laufendem Motor stehen. Ein Mann stand neben der geöffneten Seitentür.
Langsam wandte Nick Potter den Kopf zu und sagte: »Lassen Sie das alberne Ding stecken, Potter. Sie machen mich nervös.«
»Steigen Sie ein!«, befahl Potter trocken.
»Wohin fahren wir?«
»Zu einem Plauderstündchen mit Jonathan van Dam.«
»Und was geschieht dann?«
Potter grinste ausgesprochen unangenehm. »Das hängt alles von Ihnen ab.«
Es war zehn Minuten vor ein Uhr mittags, als das Taxi Sarah an der Ecke des Potsdamer Platzes absetzte. Nick abzuhängen war einfacher gewesen, als sie gedacht hatte. Kurz nachdem er fortgegangen war, um Wes Corrigan anzurufen, hatte sie ihre Handtasche genommen und war aus der Tür gestürzt.
Sie mischte sich unter eine Gruppe von Touristen und tat, als würde sie den Erklärungen des Führers über das Brandenburger Tor zuhören. Doch ständig hielt sie Ausschau nach einem ihr bekannten
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