Der Anschlag - King, S: Anschlag
unter dem Parfüm, und ich konnte Tabak – schwach, aber immer noch beißend – auf ihren Lippen und ihrer Zunge schmecken. Ihre Hände glitten durch meine Haare (wobei ein kleiner Finger mich kurz in der Ohrmuschel kitzelte und mich erschaudern ließ), dann fanden sie im Genick zusammen. Ihre Daumen bewegten sich, unentwegt. Streichelten die nackte Haut im Nacken, die in einem anderen Leben mit Haaren bedeckt gewesen wäre. Ich schob meine Hand erst unter ihre volle Brust, dann umfasste ich sie, und Sadie murmelte: »Oh, danke, ich dachte schon, ich falle.«
»Ist mir ein Vergnügen«, sagte ich und drückte sanft zu.
Wir knutschten ungefähr fünf Minuten lang, wobei wir immer schwerer atmeten, je kühner die Liebkosungen wurden. Die Scheiben meines Fords liefen an. Dann schob sie mich von sich weg, und ich sah, dass ihre Wangen nass waren. Wann um Himmels willen hatte sie zu weinen angefangen?
»George, tut mir leid«, sagte sie. »Ich kann nicht. Ich habe zu viel Angst.« Ihr Trägerrock war hochgeschoben, sodass ihr Strumpfhalter, der Saum ihres Unterrocks und der Spitzenrand ihres Schlüpfer zu sehen waren. Sie zog den Rock über ihre Knie herunter.
Ich nahm an, dass es daran lag, dass sie verheiratet war, und dass, selbst wenn ihre Ehe in die Brüche gegangen war, sie noch eine Rolle spielte – wir befanden uns in der Mitte des 20., nicht zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Vielleicht lag es auch an den Nachbarn. Die Häuser waren dunkel, als schliefen alle fest, aber das ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, und in Kleinstädten waren neue Geistliche und neue Lehrer stets interessante Gesprächsthemen. Wie sich herausstellen sollte, waren beide Vermutungen falsch, aber das konnte ich damals unmöglich wissen.
»Sadie, du brauchst nichts zu tun, was du nicht willst. Ich bin kein …«
»Du verstehst nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht will. Das ist nicht der Grund, weshalb ich Angst habe. Der Grund ist, dass ich es noch nie getan habe.«
Bevor ich noch etwas sagen konnte, war sie ausgestiegen. Sie lief zur Haustür und fummelte dabei in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel. Sie sah sich nicht mehr um.
8
Ich war um zwanzig vor eins zu Hause und schlurfte in meiner eigenen Version des Pralle-Eier-Rückzugs von der Garage ins Haus. Kaum hatte ich das Licht in der Küche angeknipst, klingelte das Telefon. Rufnummern würden von 1961 aus gesehen erst in vierzig Jahren angezeigt werden, aber nur ein Mensch würde mich um diese Zeit und nach solch einem Abend anrufen.
»George? Ich bin’s.« Sie klang gefasst, aber ihre Stimme war heiser. Sie hatte geweint. Und das anscheinend heftig.
»Hi, Sadie. Du hast mir gar keine Chance gegeben, dir für einen wundervollen Abend zu danken. Beim Tanz und danach.«
»Mir hat er auch Spaß gemacht. Es ist so lange her, dass ich getanzt habe. Ich fürchte mich fast davor, dir zu erzählen, mit wem ich den Lindy gelernt habe.«
»Na ja«, sagte ich. »Ich habe ihn mit meiner Exfrau gelernt. Ich vermute, dass du ihn vielleicht mit deinem entfremdeten Ehemann gelernt hast.« Nur war das keine Vermutung, denn so liefen diese Dinge nun einmal ab. Dergleichen überraschte mich nicht mehr, aber wenn ich behaupten würde, ich hätte mich jemals an diese unheimliche Parallelität der Ereignisse gewöhnt, wäre das gelogen.
»Ja.« Ihre Stimme klang ausdruckslos. »Mit ihm. John Clayton von den Claytons aus Savannah. Und entfremdet ist genau das richtige Wort, weil er ein sehr fremdartiger Mann ist.«
»Wie lange warst du verheiratet?«
»Eine Ewigkeit. Das heißt, wenn du das, was wir hatten, als Ehe bezeichnen willst.« Sie lachte. Das war Ivy Templetons Lachen, voller Humor und gleichzeitig Verzweiflung. »In meinem Fall hat die Ewigkeit etwas über vier Jahre gedauert. Wenn im Juni die Sommerferien beginnen, mache ich eine diskrete Reise nach Reno. Dort suche ich mir einen Sommerjob als Bedienung oder sonst was. Um sich scheiden lassen zu können, muss man sechs Wochen dort gelebt haben. Das bedeutet, dass ich diese … diesen Witz, auf den ich mich eingelassen habe, Ende Juli oder Anfang August wie ein Pferd mit einem gebrochenen Bein erschießen kann.«
»Ich kann warten«, sagte ich, aber kaum hatte ich das gesagt, fragte ich mich, ob das auch stimmte. Weil sich die Schauspieler schon hinter den Kulissen versammelten und die Aufführung bald beginnen würde. Im Juni 1962 würde Oswald wieder in den Vereinigten Staaten sein und erst bei Robert und Roberts
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