Der Anschlag - King, S: Anschlag
Sir.«
»Geht jetzt wieder rein. Trinkt etwas Punsch, damit euer Atem nicht mehr nach Whiskey riecht.«
Sie trabten davon. Ich ließ ihnen etwas Vorsprung, dann folgte ich ihnen: mit gesenktem Kopf, die Hände in den Hosentaschen, tief in Gedanken. Nicht an unserer Schule, hatte ich gesagt. Unserer.
Sie müssen bleiben und unterrichten, hatte Mimi gesagt. Das ist Ihre wahre Berufung.
Das Jahr 2011 war mir nie ferner erschienen als in diesem Augenblick. Teufel, sogar Jake Epping war mir nie ferner erschienen. In einer nur noch schummerig beleuchteten Turnhalle mitten in Texas war ein raues Saxofon zu hören. Eine laue Brise trug den Ton zu mir herüber. Drinnen begann ein Schlagzeuger einen anfangs trüge risch langsamen Shuffle, der bald alle von den Sitzen reißen würde.
Ich glaube, dass ich in diesem Augenblick beschloss, nie mehr zurückzukehren.
6
Das raue Saxofon und der verführerisch swingende Drummer begleiteten eine Gruppe namens The Diamonds. Der Song hieß »The Stroll«. Aber die Kids tanzten keinen Stroll. Nicht so richtig jedenfalls.
Der Stroll war der erste Tanzschritt, den Christy und ich lernten, als wir anfingen, jeden Donnerstagabend in die Tanzschule zu gehen. Es war ein Zweiertanz, eine Art Eisbrecher, bei dem jedes Paar durch ein Spalier aus klatschenden Jungen und Mädchen tanzte. Was ich bei meiner Rückkehr in die Turnhalle sah, war etwas anderes. Hier kamen die Jungen und Mädchen zusammen, drehten sich einmal wie beim Walzer und trennten sich in entgegengesetzter Position wieder. Sobald sie getrennt waren, wippten sie auf den Absätzen nach hinten, während die Hüften nach vorn kamen – eine Bewegung, die bezaubernd und sexy zugleich war.
Während ich die Tanzfläche vom Tisch mit den Snacks aus beobachtete, reihten Mike, Jim und Vince sich bei den Jungen ein. Vince taugte nicht viel – zu sagen, dass er wie ein weißer Junge tanzte, wäre eine Beleidigung für alle anderen weißen Jungen gewesen –, aber Jim und Mike als echte Sportler bewegten sich unbewusst elegant. Schon bald beobachteten die meisten Mädchen auf der anderen Seite die beiden.
»Ich hab mir schon Sorgen um dich gemacht!«, rief Sadie mir über die Musik hinweg zu. »Ist draußen alles in Ordnung?«
»Alles bestens!«, rief ich zurück. »Was ist das für ein Tanz?«
»Der Madison! Bei American Bandstand wird er schon den ganzen Monat gezeigt. Soll ich ihn dir beibringen?«
»Meine Dame«, sagte ich und nahm sie am Arm. »Ich werde dir etwas beibringen.«
Die Kids sahen uns kommen, machten uns Platz, klatschten und riefen dabei Weiter so, Mr. A.! und Zeigen Sie’s ihm, Miz Dunhill!. Sadie lachte und zog das Gummiband fester, das ihren Pferdeschwanz zusammenhielt. Mit glänzenden Augen und geröteten Wangen war sie mehr als nur hübsch. Sie verlagerte ihr Gewicht auf die Absätze, klatschte in die Hände und bewegte die Schultern wie die anderen Mädchen. Dann kam sie nach vorn in meine Arme und sah dabei zu mir auf. Ich war froh, dass ich groß genug war, sodass sie das tun konnte. Wir drehten uns wie ein Aufziehbrautpaar auf einer Hochzeitstorte, dann trennten wir uns wieder. Ich ging leicht in die Knie und drehte mich auf den Zehenspitzen, indem ich die Hände wie Al Jolson ausstreckte, wenn er »Mammy« sang. Das brachte uns weiteren Applaus und – lange vor dem ersten Auftritt der Beatles in Amerika – ein paar spitze Schreie von den Mädchen ein. Ich wollte nicht angeben (okay, vielleicht ein bisschen); ich war nur froh, mal wieder tanzen zu können. Die Pause war zu lang gewesen.
Der Song endete, das raue Saxofon verhallte in der Rock-’n’-Roll-Ewigkeit, die unser junger DJ den Grooveyard nannte, und wir verließen langsam die Tanzfläche.
»Gott, das hat Spaß gemacht«, sagte Sadie. Sie drückte meinen Arm. »Mit dir hat’s Spaß gemacht.«
Bevor ich antworten konnte, plärrte Donalds Lautsprecherstimme: »Zu Ehren von zwei Aufsichten, die echt tanzen können – die ersten in der Geschichte unserer Schule –, kommt hier ein Oldie but Goldie, der aus den Charts, aber nicht aus unseren Herzen verschwunden ist, eine Scheibe für die Ewigkeit, direkt aus der Plattensammlung meines Daddy-Os, von der er nicht weiß, dass ich sie mitgebracht habe, und wenn ihr coolen Cats nicht dichthaltet, kriege ich Ärger. Darauf könnt ihr abfahren, ihr heißen Rocker, so haben sie’s gemacht, als Mr. A. und Miz D. auf der Highschool waren!«
Alle wandten sich uns zu, und … Na ja …
Man kennt ja
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