Der Anschlag - King, S: Anschlag
trotzdem fast alles mit.
»Du hast die … im Sack gekauft«, erklärte Robert seinem Bru der. »Wenn Marina diese Bude sieht, macht sie dir die Hölle heiß.«
»Mit Rina … ich schon fertig«, sagte Lee. »Aber wenn ich nicht bald von Ma … und aus der kleinen Wohnung rauskomme, bring ich sie um, Bruder.«
»Sie kann verdammt … aber … liebt dich, Lee.« Robert ging einige Schritte in Richtung Straße. Als Lee sich zu ihm gesellte, waren ihre Stimmen wieder glockenrein zu hören.
»Das weiß ich, aber sie kann nicht anders. Als Rina und ich neulich Nacht zugange waren, hat sie uns vom Schlafsofa aus angekreischt. Sie pennt nämlich im Wohnzimmer. ›Macht mal halblang, ihr beidn‹, ruft sie. ›Für ’n zweites ist’s noch zu früh. Wartet, bis ihr für das eine zahlen könnt, das ihr habt.‹«
»Ja, ich weiß. Sie kann anstrengend sein.«
»Sie kauft dauernd Sachen. Sagt, dass sie für Rina sind, aber hält sie mir unter die Nase.« Lee lachte und ging zurück zum Bel Air. Diesmal war es sein Blick, der über die Nummer 2706 glitt, und ich hatte Mühe, hinter den Vorhängen stillzuhalten. Und auch die Schale nicht zu bewegen.
Robert gesellte sich zu ihm. Sie lehnten am Kofferraum: zwei Männer in sauberen, blauen Hemden und Arbeiterhosen. Lee trug eine Krawatte, die er jetzt lockerte.
»Hör dir das an. Ma geht neulich zu Leonard Brothers und kommt mit lauter Klamotten für Rina zurück. Sie zieht Shorts raus, die so lang wie Pumphosen sind, bloß mit Paisleymuster. ›Guck mal, Reenie, sind die nich hübsch?‹, fragt sie.« Lee imitierte die Stimme seiner Mutter ausgesprochen gehässig.
»Was hat Rina gesagt?«, fragte Robert lächelnd.
»Sie sagt: ›Nein, Mamotschka, nein, ich danke, aber ich nicht mögen, ich nicht mögen. Mir gefallen so. ‹ Dann legt sie die Hand an ihr Bein.« Lee zeigte, was er meinte, indem er eine Hand auf halber Höhe an seinen Oberschenkel hielt.
Roberts Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. » Das hat Ma bestimmt gefallen!«
»Sie sagt: ›Marina, solche Shorts sind was für junge Mädchen, die sich auf der Straße zur Schau stellen, weil sie ’nen Freund suchen – nich für verheiratete Frauen.‹ Du darfst ihr nicht sagen, wo wir sind, Robert. Auf gar keinen Fall! Sind wir uns da einig?«
Robert schwieg einige Sekunden lang. Vielleicht erinnerte er sich an einen kalten Tag im November 1960. Wie seine Mama ihm auf der West Seventh Street nachgelaufen war und » Halt, Robert, geh nicht so schnell, ich bin noch nicht mit dir fertig!« gerufen hatte. Und obwohl in Als Notizen nichts darüber stand, glaubte ich nicht, dass sie mit Lee schon fertig war. Schließlich war Lee der Sohn, aus dem sie sich wirklich etwas machte. Das Nesthäkchen der Familie. Der Junge, der bis zu seinem elften Jahr in ihrem Bett geschlafen hatte. Der Junge, bei dem sie regelmäßig kontrolliert hatte, ob sein Schamhaar schon spross. Solche Dinge standen in Als Notizen. Daneben eine Randbemerkung aus zwei Wörtern, die man dem Koch eines Schnellrestaurants nicht ohne Weiteres zugetraut hätte: hysterische Fixierung.
»Klar doch, Lee, aber das hier ist keine große Stadt. Sie wird euch finden.«
»Dann jage ich sie zum Teufel. Verlass dich drauf!«
Sie stiegen in den Bel Air und fuhren davon. Das Zu-vermieten-Schild hing nicht mehr an der Veranda. Lee und Marinas neuer Hausbesitzer hatte es im Vorbeigehen mitgenommen.
Ich ging in ein Eisenwarengeschäft, kaufte eine Rolle Gewebeband und überzog damit die Tupperware-Schale innen und außen. Insgesamt war es ein guter Tag gewesen, fand ich, aber ich hatte die Gefahrenzone betreten. Das war mir bewusst.
4
Am 10. August gegen fünf Uhr nachmittags fuhr der Bel Air wieder vor, diesmal mit einem kleinen Anhänger aus Holz. Lee und Robert brauchten keine zehn Minuten, um Oswalds gesamte irdische Habe in die neue Villa zu tragen (wobei sie die immer noch nicht reparierte lose Stufe sorgfältig mieden). Während des Einzugs stand Marina mit June auf dem Arm auf dem mit Fingerhirse durchsetzten Rasen und betrachtete ihr neues Heim mit einem Ausdruck der Verzweiflung, der keine Übersetzung brauchte.
Diesmal erschienen alle drei Springseilmädchen: zwei zu Fuß, das dritte auf seinem Roller. Sie verlangten das Baby zu sehen, und Marina ging lächelnd darauf ein.
»Wie heißt sie?«, fragte eines der Mädchen.
»June«, sagte Marina.
Dann überstürzten sich die Fragen. »Wie alt ist sie? Kann sie reden? Warum lacht sie nicht? Hat sie
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