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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Vermutlich dumm, aber wahr.
    Der Gelbe-Karte-Mann hat es gewusst, dachte ich. Er hat es gewusst, und das war sein Tod.
    Meine neueste Harmonie setzte den linken Blinker, bog am Stoppschild ab und verschwand in Richtung Main Street.
    »Komm, iss dein Dessert«, sagte Sadie hinter mir, und ich zuckte zusammen.
    Die Anonymen Alkoholiker sagten, dass FEAR auch etwas anderes bedeutete: Fuck everything and run. Lass alles stehen und liegen, und mach, dass du wegkommst.
    3
    Als ich abends in die Neely Street zurückkam, setzte ich den Kopfhörer auf und hörte mir die letzte Tonbandaufzeichnung an. Ich erwartete nichts als Russisch, aber diesmal war auch Englisch zu hören. Und lautes Planschen.
    Marina: Spricht russisch.
    Lee: Ich kann nicht, Mama, ich bin mit Junie in der Wanne!
    Weiteres Planschen, Lees Lachen und das hohe Glucksen der Kleinen.
    Lee: Mama, hier steht Wasser auf dem Fußboden! Junie spritzt! Böses Mädchen!
    Marina: Wisch es auf! Ich beschafftigt! Beschafftigt!
    Aber sie lacht ebenfalls.
    Lee: Ich kann nicht, außer du willst, dass das Baby … Russisch.
    Marina: Spricht russisch – schimpft die beiden lachend aus.
    Noch mehr Planschen. Marina summt irgendeinen Popsong von KLIF. Das klingt süß.
    Lee: Mama, bring uns unser Spielzeug!
    Marina: Da, da, immer ihr wollt die Spielzeug.
    Lautes Planschen. Die Badezimmertür muss jetzt weit geöffnet sein.
    Marina: Spricht russisch.
    Lee mit schmollender Kinderstimme: Mama, du hast unseren Gummiball vergessen!
    Lautes Planschen … June kreischt vor Entzücken.
    Marina: So, alle Spielzeug für Priiinz und Priinzessa.
    Lachen von allen dreien – bei ihrer Fröhlichkeit überläuft mich ein kalter Schauder.
    Lee: Mama, bring uns einen (russisches Wort) . Wir haben Wasser im Ohr.
    Marina lachend: O Gott, was noch alles?
    In jener Nacht lag ich lange wach und dachte an die drei Oswalds. Ausnahmsweise einmal glücklich, aber warum auch nicht? Das Haus West Neely Street 214 war nichts Besonderes, aber doch ein Fortschritt. Vielleicht schliefen sie sogar im selben Bett, und June war ausnahmsweise glücklich, statt zu Tode geängstigt zu sein.
    Und jetzt gab es im Bett einen Vierten. Einer, der in Marinas Bauch heranwuchs.
    4
    Die Dinge beschleunigten sich, genau wie damals in Derry, nur flog der Zeitpfeil diesmal nicht auf Halloween, sondern auf den 10. April 1963 zu. Die Notizen von Al, auf die ich mich bisher hatte verlassen können, wurden weniger hilfreich. Vor dem Attentat auf Walker konzentrierten sie sich fast ausschließlich darauf, was Lee tat und wo er sich aufhielt, aber in jenem Winter passierte im Leben der Oswalds wesentlich mehr – vor allem in Marinas Leben.
    Zum einen hatte sie endlich Freundschaft geschlossen – nicht mit einem Möchtegern-Sugardaddy wie George Bouhe, sondern mit einer Frau. Sie hieß Ruth Paine und war eine Quäkerin. Spricht russisch, hatte Al lakonisch vermerkt, was nicht zum früheren Stil seiner Notizen passte. Haben sich im Februar 63 auf einer Party kennengelernt. Marina trennt sich von Lee und lebt zum Zeitpunkt des Attentats auf Kennedy bei Paine. Und dann, als wäre das fast nebensächlich: Lee hat M-C in Paines Garage versteckt. In Wolldecke gewickelt. Darin sollen Vorhangstangen sein.
    Mit M-C meinte er das Gewehr von Mannlicher-Carcano aus dem Versandhandel, mit dem Oswald vorhatte, General Walker zu erschießen.
    Ich weiß nicht, wer die Party gegeben hat, auf der Lee und Marina die Paines kennenlernten. Ich weiß nicht, wer sie mit ihnen bekannt gemacht hat. De Mohrenschildt? Bouhe? Vermutlich einer der beiden, denn die anderen Emigranten machten inzwischen einen weiten Bogen um die Oswalds. Der Ehemann war ein zynischer Besserwisser, die Ehefrau – sein Punchingball – hatte wer weiß wie viele Gelegenheiten verpasst, ihn sitzen zu lassen.
    Ich weiß jedoch, dass Marina Oswalds potenzielle Rettungsluke an einem regnerischen Tag Mitte März eintraf, und zwar am Steuer eines weiß-roten Chevrolet-Kombis. Sie parkte am Randstein und sah sich zweifelnd um, als wäre sie sich nicht ganz sicher, an der richtigen Adresse zu sein. Ruth Paine war groß (wenn auch nicht so groß wie Sadie) und erschreckend dünn. Ihre bräunlichen Haare trug sie mit Fransen über der auffällig hohen Stirn und seitlich zurückgekämmt – eine Frisur, die ihr nicht schmeichelte. Auf ihrer sommersprossigen Nase saß eine randlose Brille. Als ich sie durch den Vorhangspalt beobachtete, erschien sie mir als eine Art Frau, die fleischlos

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