Der Anschlag - King, S: Anschlag
Mohrenschildt gelegentlich antwortete, aber nicht verstehen, was sie sagten.
Mein Ohr in der Wohnung der Oswalds war taub geworden.
Die Vergangenheit war unerbittlich.
Nach weiterer zehnminütiger Diskussion – vielleicht über Politik, vielleicht über ärgerliche Marotten von Ehefrauen, vielleicht über die beste Methode, General Edwin Walker zu beseitigen – tram pelte de Mohrenschildt die Außentreppe hinunter und fuhr davon.
Lees Schritte durchquerten den Raum über mir – poch, stampf, poch. Ich folgte ihnen ins Schlafzimmer und richtete das Mikrofon auf die Stelle, wo sie verstummt waren. Nichts … nichts … dann leise, aber unverkennbare Schnarchgeräusche. Als Ruth Paine zwei Stunden später Marina und June absetzte, schlief er immer noch den Dos-Equis-Schlaf. Marina weckte ihn nicht. Ich an ihrer Stelle hätte den übellaunigen kleinen Hundesohn auch nicht geweckt.
6
Nach diesem Tag ging Lee immer häufiger nicht zur Arbeit. Falls Marina davon wusste, war es ihr offenbar egal. Vielleicht merkte sie es aber auch gar nicht. Sie ging ganz in der Beziehung zu ihrer neuen Freundin Ruth auf. Es gab weniger Schläge, aber nicht etwa weil die Stimmung sich gebessert hatte, sondern weil Lee fast ebenso oft unterwegs war wie sie. Oft nahm er seine Kamera mit. Dank Als Notizen wusste ich, wohin er fuhr und was er dort tat.
Als er eines Tages einmal wieder zur Bushaltestelle unterwegs war, sprang ich in mein Auto und fuhr in die Oak Lawn Avenue. Ich wollte schneller sein als Lees Bus quer durch die Stadt, und das gelang mir auch. Mühelos. Auf beiden Seiten der Avenue gab es reichlich Schrägparkplätze, aber mein roter Heckflossen-Chevy war auffällig, und ich wollte nicht riskieren, dass Lee ihn sah. Ich stellte ihn um die Ecke in der Wycliff Avenue auf dem Parkplatz eines Alpha-Beta-Lebensmittelmarkts ab. Dann schlenderte ich zum Turtle Creek Boulevard hinüber. Die dortigen Häuser waren Neo-Hazienden mit Torbogen und Rauputz. Es gab Einfahrten zwischen Palmen, weite Rasenflächen, sogar ein paar Springbrunnen.
Vor dem Haus Nummer 4011 arbeitete ein schlanker Mann (der dem Westernschauspieler Randolph Scott erstaunlich ähnlich sah) mit einem Handrasenmäher. Als Edwin Walker sah, dass ich ihn beobachtete, legte er kurz die Rechte zu einem Militärgruß an die Schläfe. Ich erwiderte den Gruß auf gleiche Weise. Lee Oswalds Zielperson mähte weiter, und ich schlenderte davon.
7
Die Straßen, die den Wohnblock in Dallas begrenzten, für den ich mich interessierte, waren der Turtle Creek Boulevard (wo der General wohnte), die Wycliff Avenue (wo ich geparkt hatte), die Avondale Avenue (die ich erreichte, nachdem ich Walkers Gruß erwidert hatte) sowie die Oak Lawn Avenue, eine Straße mit kleinen Geschäften, die direkt hinter dem Haus des Generals vorbeiführte. Diese Avenue interessierte mich am meisten, weil sie am Abend des 10. April Lees Anmarsch- und Rückzugsroute sein würde.
Ich stand vor dem Schaufenster von Texas Shoes & Boots, hatte den Kragen meiner Jeansjacke hochgeschlagen und die Hände in den Hosentaschen vergraben. Nach ungefähr drei Minuten Warte zeit hielt der Bus an der Kreuzung Oak Lawn und Wycliff Ave nue. Kaum schwenkten die Türblätter nach innen, stiegen auch schon zwei Frauen mit Einkaufsbeuteln aus. Hinter ihnen tauchte Lee auf. Er trug eine braune Papiertüte, die der Pausentüte eines Arbeiters ähnelte.
An der Ecke stand eine große, steinerne Kirche. Lee schlenderte zu ihrem schmiedeeisernen Zaun hinüber, las die Mitteilungen auf der Anschlagtafel, zog ein kleines Notizbuch aus der Gesäßtasche und schrieb etwas hinein. Dann kam er auf mich zu, während er sein Notizbuch wieder einsteckte. Darauf war ich nicht gefasst. Al hatte angenommen, dass Lee sein Gewehr gut eine halbe Meile von hier an den Bahngleisen jenseits der Oak Lawn Avenue verstecken würde. Aber vielleicht war diese Annahme falsch gewesen, denn Lee sah nicht ein einziges Mal dort hinüber. Er war noch siebzig bis achtzig Meter entfernt, kam jedoch rasch näher.
Er wird mich bemerken und mich ansprechen, dachte ich. Er wird sagen: »Sind Sie nicht der Kerl, der unter uns wohnt? Was machen Sie hier?« Wenn er das tat, würde die Zukunft eine andere Richtung nehmen. Nicht gut.
Während ich die Schuhe und Stiefel im Schaufenster anstarrte, wurde mein Genick feucht, und ich spürte, wie mir die Schweißperlen über den Rücken liefen. Als ich schließlich einen verstohlenen Blick nach links riskierte,
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