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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Sicherheitsbeamten hielt auf der anderen Seite der Elm Street an der Dealey Plaza. Auch die Motorradeskorte hatte mitten auf der Straße angehalten, und mindestens vier Dutzend Zuschauer zeigten aufgeregt zu dem Fenster im fünften Stock hinauf, an dem ein hagerer Mann in einem blauen Hemd deutlich sichtbar war.
    Ich hörte ein nicht sehr lautes Prasseln, als klatschten Hagelkörner in Schlamm. Das waren die Kugeln, die das Fenster verfehlten und seitlich oder darüber in die Ziegel einschlugen. Viele trafen jedoch. Ich sah, wie Lees Hemd sich ausbeulte, als wäre unter ihm ein Wind aufgekommen – ein roter, der Löcher in den Stoff riss: eines über der rechten Brustwarze, eines über dem Brustbein, ein drittes ungefähr über dem Nabel. Eine vierte Kugel riss ihm den Hals auf. In dem gedämpften Licht voller Sägespäne tanzte er wie eine Marionette, und die schreckliche zähnefletschende Grimasse blieb auf seinem Gesicht. Er war zuletzt kein Mensch mehr, ehrlich; er war etwas anderes. Das, was auch immer in uns fuhr, wenn wir auf unsere schlimmsten Engel hörten.
    Ein Geschoss traf eine der Deckenlampen. Die Glühbirne zersplitterte, und die Lampe schwankte. Dann riss eine Kugel dem Möchtegern-Attentäter die Schädeldecke weg, genau wie in meiner Welt eines von Lees Geschossen dem Präsidenten die Schädeldecke weggerissen hatte. Er fiel gegen seine Barrikade aus Bücherkartons und brachte sie zum Einsturz.
    Schreie von unten. Jemand rief laut: »Mann am Boden, ich hab gesehen, wie er zu Boden gegangen ist!«
    Auf der Treppe kamen Schritte heraufgetrampelt. Ich warf den .38er zu Lees Leiche hinüber. Ich war noch so geistesgegenwärtig, zu erkennen, dass die Heraufkommenden mich zusammenschlagen, vielleicht sogar abknallen würden, wenn sie mich mit einer Waffe in der Hand antrafen. Ich wollte aufstehen, aber mein Knie trug mich nicht mehr. Was vielleicht nur gut so war. Von der Elm Street aus war ich bislang wahrscheinlich nicht zu sehen gewesen, aber wenn das jetzt der Fall gewesen wäre, hätten sie das Feuer vielleicht auf mich eröffnet. Also kroch ich zu der Stelle hinüber, wo Sadie lag. Ich verlagerte mein Gewicht hauptsächlich auf die Hände und schleppte mein linkes Bein hinter mir her wie einen Anker.
    Ihre Bluse war vorn mit Blut getränkt, aber ich konnte das Einschussloch trotzdem sehen. Es saß mitten im Oberkörper, knapp über der Brustwölbung. Auch aus dem Mund quoll Blut. Sie würgte, als würde sie daran ersticken. Ich schob die Arme unter sie und richtete sie auf. Ihr Blick ließ mich nicht mehr los. Ihre Augen schienen im Halbdunkel zu leuchten.
    »Jake«, krächzte sie.
    »Nein, Schatz, nicht reden.«
    Sie hörte nicht auf mich – wann hatte sie das jemals getan? »Jake, der Präsident!«
    »In Sicherheit.« Ich hatte nicht gesehen, dass Kennedy unverletzt war, als sein Wagen davonraste, aber ich hatte beobachtet, wie Lee bei seinem einzigen Schuss aus dem Fenster zusammengezuckt war, und das genügte mir. Und ich hätte Sadie auf jeden Fall versichert, dass er gerettet sei.
    Ihre Augen schlossen sich, dann öffneten sie sich wieder. Das Getrappel war jetzt sehr nahe, verließ den Treppenabsatz im vierten Stock und kam die letzte Treppe herauf. Auf der Straße unter uns schrie die Menge ihre Erregung und Verwirrung heraus.
    »Jake?«
    »Was, Schatz?«
    Sie lächelte. »Wie wir getanzt haben!«
    Als Bonnie Ray und die anderen eintrafen, saß ich auf dem Boden und hielt Sadie an mich gedrückt. Sie stürmten an mir vor bei. Wie viele es waren, weiß ich nicht. Vielleicht vier. Oder acht. Oder ein Dutzend. Ich machte mir nicht die Mühe, sie anzusehen. Ich hielt Sadie an mich gedrückt, wiegte ihren Kopf an meiner Brust, ließ ihr Blut mein Hemd durchtränken. Tot. Meine Sadie. Schließlich war sie doch in die Maschine gefallen.
    Ich bin nie eine Heulsuse gewesen, aber fast jeder Mann, der eine geliebte Frau verloren hat, würde weinen, oder etwa nicht? Doch. Aber nicht ich.
    Weil ich wusste, was zu tun war.

Teil 6
    TEIL 6
    DER MANN MIT DER
GRÜNEN KARTE

Kapitel 29
    KAPITEL 29
    1
    Ich wurde nicht richtig verhaftet, aber in Gewahrsam genommen und mit einem Streifenwagen auf ein Polizeirevier gefahren. Auf dem letzten Teil der Strecke hämmerten Leute – manche von ihnen Reporter, die meisten gewöhnliche Bürger – an die Scheiben und spähten ins Wageninnere. Auf nüchterne, distanzierte Weise fragte ich mich, ob ich vielleicht aus dem Wagen gezerrt und wegen versuchten Mordes an dem

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