Der Antares-Krieg
316 Tote und ein halbes Tausend Verletzte, die Hälfte davon lebensgefährlich; ASNS Sonnenjäger explodiert, keine Überlebenden ...
Es war die entmenschlichende Wirkung dieser ständig einlaufenden Zahlen, die das kollektive Bewusstsein zu betäuben drohte. Vielleicht handelte es sich bei dieser Abstumpfung um eine unvermeidliche Begleiterscheinung jedes längeren Krieges. Drake erinnerte sich an Darstellungen des ersten globalen Konflikts auf der Erde, als im Stellungskrieg in Frankreich an Tagen, wenn auf dem Schlachtfeld relative Ruhe herrschte und nichts Besonderes passierte, durchschnittlich tausend Mann verloren gingen. Keine Angriffe, keine Rückzüge, nur das Streufeuer der Artillerie auf Gräben und Unterstände. Die Generäle der Zeit wurden so unempfindlich gegen die Verluste, dass sie sich angewöhnt hatten, dieses nicht weiter bemerkenswerte Gemetzel als »Versickerung« zu bezeichnen.
Wer würde in diesem Zermürbungskrieg zuerst zerbrechen?
Die Ryall durch den Verlust ihrer Wirtschaftskraft oder die Menschen durch den Verlust ihrer Menschlichkeit?
Drake seufzte und setzte sich ein wenig aufrechter. Dies war nicht die geeignete Stimmung für einen Admiral auf Eroberungszug, dachte er. Besser, man konzentrierte sich auf die Gegenwart und überließ die Zukunft sich selbst.
Die Gegenwart brachte einige beunruhigende Anzeichen mit sich, dass der Feind klüger wurde. Noch immer warf er den Blockadestreitkräften immer neue Angriffswellen entgegen, aber die letzten Vorstöße waren besser koordiniert als die wilden Massenangriffe in den frühen Tagen der Blockade. In der vergangenen Woche waren kleinere Kampfgruppen der Ryall gleichzeitig in drei verschiedenen Faltpunkten erschienen. Glücklicherweise hatten die Gefechte nur so lange gedauert, dass sie die Umgebung des Durchbruchsraumes sondieren konnten, um dann den Rückzug anzutreten. Es waren nur bewaffnete Aufklärungsvorstöße gewesen, aber nicht ihre Stärke gab Grund zur Sorge, sondern die Gleichzeitigkeit, mit der sie vorgetragen wurden.
Die taktische Analyse der Eroberung des Systems Spica zeigte, dass die Ryall-Hegemonie auf die menschliche Invasionsflotte in ihrem Raum genauso reagiert hatte, wie die Menschheit es im umgekehrten Falle getan haben würde. Als Erstes hatte jede bedrohte Welt mit allen Streitkräften, die sie schnell zusammenziehen konnte, einen wütenden Gegenangriff durch ihren lokalen Faltpunkt geführt.
Ihr Ziel war das Durchstoßen eines der Faltpunkte gewesen, bevor die Invasoren geeignete Sicherungen aufbauen konnten. Da die Invasionsflotte jedoch ihre inneren Kommunikationslinien unterbrochen hatte, war die Fähigkeit der Ryall, kurzfristig koordinierte Gegenstrategien zwischen ihren Welten zu entwickeln, entscheidend beeinträchtigt. Die Folge davon war, dass die schnellen Gegenangriffe unkoordiniert und relativ unwirksam waren. In jedem Fall war die Abwehrkraft der Kampfgruppen in den Faltpunkten zu stark gewesen, um den Angreifern einen durchschlagenden Erfolg zu ermöglichen.
Dass die letzten Vorstöße gleichzeitig gegen drei verschiedenen Faltpunkte geführt waren, ließ darauf schließen, dass die Ryall neue Kommunikationslinien aufgebaut und koordinierte Aktionen zwischen abgeschnittenen Sternsystemen einleiten konnten. Es gab andere, wenn auch weitere Routen zwischen ihren Heimatsystemen als diejenigen, die über Spica führten. Sie waren mit bis zu neun Faltraumübergängen verbunden und brachten teils erhebliche Verzögerungen mit sich, aber sie erlaubten den Austausch von Botschaften, Material und Streitkräften zwischen den Welten in verschiedenen Inseln des Faltraumes.
Mit der Wiederherstellung ihrer Kommunikationslinien konnten sie eine zusammenhängende Ausbruchsstrategie entwickeln, die Aussicht auf Erfolg haben mochte.
Plötzlich wurde ihm bewusst, dass er minutenlang die Verlustliste auf dem Bildschirm angestarrt hatte, ohne sie zu sehen. Er holte tief Atem, löschte die statistischen Zahlen der Toten, Verwundeten und Vermissten und holte die Namensliste der Gefallenen auf den Bildschirm. Dann überflog er die lange Reihe der über den Bildschirm wandernden Reihen, ohne einen von ihnen wiederzuerkennen. Er war erleichtert, dann schämte er sich. Waren die Leben von Fremden weniger wertvoll als jene von Menschen, die er kannte?
Er streckte die Hand aus und drückte die Taste, die seine digitale Signatur hinzufügen und die Liste zur Verschlüsselung der wöchentlichen Nachrichtenübersicht
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