Der Antares-Krieg
könnte, wenn das ihr Leiden erleichtern würde, fauchte sie mich regelrecht an und erklärte, »nur Perverse würden erlauben, dass die Jungen in Gefangenschaft schlüpfen.«
Der Fortpflanzungstrieb in ihr ist stärker, als ich es je gesehen habe, doch lehnte sie mein Angebot mit einer Entschiedenheit ab, die mich überzeugt, dass die Reaktion echt war. Da allgemein betrachtet der Fortpflanzungstrieb in den Ryall genauso stark ist wie im Menschen, beweist diese negative Reaktion, dass die Ryall nicht an ihre Instinkte gekettet sind, und dass sie wie Menschen ihre Intelligenz gebrauchen, um ihre biologischen Impulse zu unterdrücken, wenn die Notwendigkeit es gebietet. Diese Beobachtung hat die tiefgreifendsten Implikationen für die Beziehungen zwischen Menschen und Ryall und bietet Hoffnung, dass sie sich der Vernunft nicht verschließen werden, sobald sie erkennen, dass wir aus dem System Spica nicht vertrieben werden können.
Bethany hielt im Diktat ihres Forschungstagebuches inne und überlegte die letzte Feststellung. Nachdem sie den Hinweis gefunden hatte, nach dem sie so lange gesucht hatte, sah sie sich jetzt dem Dilemma gegenüber, wie sie ihre Folgerung testen könnte. Wie viel von dem, was sie gerade diktiert hatte, beruhte auf objektiven Beweisen, und wie viel war ihr Wunschdenken?
Von allen Gebieten der Wissenschaft war die Exobiologie wahrscheinlich am meisten belastet durch psychologische Probleme, wenn Forscher von ihren eigenen unbewussten Annahmen irregeführt wurden. Das Problem war der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns inhärent.
Zeigte man einem Menschen ein Muster von willkürlich gesetzten Punkten, so wird er innerhalb von Sekunden anfangen, Formen in dem Muster zu sehen. Deshalb sehen die Bewohner einer Welt mit einem größeren luftlosen Mond ein identifizierbares Gesicht in den Kratern und Ebenen, die ihren Satelliten sprenkeln, und deshalb ist die Beobachtung von Wolkenbildern ein beliebter sommerlicher Zeitvertreib unter jenen, die jung genug sind, Zeit dafür zu haben. In gleicher Weise verursacht die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, Muster zu erkennen, dass Bilder von Jesus Christus und der Jungfrau Maria in Wasserflecken an Decken und Wänden gesehen werden, wenigstens in christlich geprägten Kulturen. Vermutlich werden in nichtchristlichen Kulturen andere Bilder in den Wasserflecken gesehen.
In der wissenschaftlichen Forschung verursacht dieser innewohnende Drang, dem Chaos einen Sinn zu geben, die Forscher, Fakten wie Perlen in einer Halskette aneinander zu reihen. Das Problem ist, dass diese Fakten bisweilen nicht wirklich zusammengehören, außer vielleicht im Bewusstsein des betreffenden Forschers.
Der gefährlichste Aspekt dieses Phänomens war für einen Exobiologen die Argumentation mittels Analogien. Wiederholt ertappten sich Forscher dabei, dass sie von einem fremden Organismus erwarteten, er müsse sich verhalten wie der terrestrische Organismus, dem er am meisten ähnelte. Dies war der Trugschluss des »Wenn es wie ein Hund aussieht, muss es sich wie ein Hund verhalten.«
Professoren der verschiedenen »Exo«-Wissenschaften pflegten ihre Studenten darauf hinzuweisen, dass vom Verhalten eines fremden Tieres erwartet werden könne, es müsse fremd sein. Nur weil es einer fetten alten Katze ähnelt, die man einmal als Hausgenossen hatte, kann man nicht erwarten, dass es sich im Schoß zusammenrollen und schnurren wird.
So fragte sich Bethany, ob sie Varlan nicht vielleicht unbewusst menschliche Reaktionsweisen und Eigenschaften zuordne, um dann auf dieser Basis Urteile abzugeben. War die Weigerung der Ryall, sich in Gefangenschaft fortzupflanzen, ein Fall von Varlans Intelligenz, die sich über ihren Instinkt hinwegsetzte? Oder war es ein anderer Instinkt, der in den Fortpflanzungstrieb eingriff? Es war bekannt, dass sich verschiedene Tierarten nicht fortpflanzten, wenn sie in der Gefangenschaft eines Zoos gehalten wurden. Vielleicht war Varlans Paarungsverweigerung lediglich die Rationalisierung eines Instinkts, der ihr sagte, sie müsse unbehindert durch ausgeschlüpfte Junge sein, um jede Gelegenheit zur Flucht besser nutzen zu können. In solch einem Fall würde der Fortpflanzungstrieb vom Selbsterhaltungstrieb unterdrückt, und Bethanys ganze These wäre ungültig.
So blieb die Frage, was sie immer gewesen war. Waren die Feinde Sklaven ihrer fremdenfeindlichen Instinkte, oder konnten sie sich über ihr natürliches Verlangen, menschliche Wesen
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