Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
hören, was Raphael alles mitgenommen hatte, aber sie wusste, dass dieses Tee-und-Kekse-Ritual mehr für die anderen beiden gedacht war als für sie, und darum wartete sie, bis der Tee fertig war und alle wieder am Tisch saßen.
»Also los, die Wahrheit. Er hat alles mitgenommen.«
Flora war kreidebleich geworden und senkte den Blick auf die Tischplatte. Damit war es Susan überlassen, einen Schluck von ihrem Tee zu trinken und dann zögerlich zu nicken.
»So gut wie.«
»Was soll das heißen?«
»Deine Mutter. Sie hat die Stiftung, die dein Vater errichtet hatte, aufgelöst und in Bargeld umgesetzt.«
»Darf sie das denn?«, rief Pip erstaunt.
»Ja, klar, sie ist ja Treuhänderin.«
Susan biss sich auf die Unterlippe. »Sie hat gesagt, es sei bloß vorübergehend, sie bräuchte es nur als Finanzspritze für Raphael, damit der sein Geschäft aufbauen konnte.«
»Aber wieso? Wieso setzt sie das einzige Geld aufs Spiel, das ihr zum Leben habt?«
»Er hat ihr erzählt, dass er bereits die Zusage für einen Kredit hat, dass das Geld aber nicht rechtzeitig zur Auktion da sein würde. Er hat ihr erzählt, wenn er die Bar nicht sofort kauft, dann kauft sie jemand anderes, er hat ihr sein Wort gegeben, dass das Geld auf dem Weg sei. Dass er ihr jeden Penny mit Zins und Zinseszins zurückzahlen würde ...« Flora brach ab, weil ihr ein Schluchzen die Kehle hochstieg. Sie versuchte, es mit Tee herunterzuspülen.
Susan tätschelte ihr die Hand und fuhr fort.
»Deine Mutter ist mit ihm nach Spanien geflogen. Er hat ihr die Bar gezeigt, er hatte die Schlüssel und alles, man kannte ihn dort, sprach mit ihm ... Deine Mutter kann ja kein Spanisch, darum hatte sie keine Ahnung, worüber sie mit ihm sprachen, aber sie hat erzählt, sie hätten sich die Hände geschüttelt und ihm auf die Schulter geklopft. Es hätte alles völlig plausibel gewirkt. Ja, ich weiß, Judy kann manchmal etwas leichtgläubig sein, nenn es naiv, aber blöd ist sie nicht. Er hat uns alle hinters Licht geführt, Pip. Ich fand ihn toll, die Mädchen fanden ihn toll ...«
Sie ließ den Kopf hängen.
»Wir haben ihm vertraut. Nicht nur Judy. Wir alle. Er wirkte so ehrlich. So anständig. Da kann man mal sehen, wie doof wir sind, was?«
Das Elend stand ihnen ins Gesicht geschrieben, und Pip war klar, dass sie jetzt nur auf eine Standpauke von ihr warteten, aber der einzige Mensch, dem Pip gerne mit einem von Susans Doc-Martens-Stiefeln einen saftigen Arschtritt verpasst hätte, war spurlos verschwunden.
Pip richtete den Blick gen Zimmerdecke, Richtung Judys Schlafzimmer.
»Soll ich mal hochgehen und nach ihr sehen?«
Susan schüttelte den Kopf.
»Als ich vorhin oben war, hat sie geschlafen.«
Pip nickte.
Zwar verbrachte Judy in diesen Lebenssituationen die meiste Zeit im Bett, aber sie schlief nur selten, und wenn sie dann endlich mal innerlich zur Ruhe kam, sollte man sie besser nicht stören.
»Ich setze noch etwas Wasser auf.« Susan legte die Hand auf Pips Schulter.
Noch mehr Tee.
In dieser Küche war über die Jahre genug Tee getrunken worden, um damit den Ärmelkanal zu füllen.
Mit einer vollen, dampfenden Teekanne kehrte Susan an den Tisch zurück, schenkte Pip ein und bot ihr auch etwas zu essen an.
»Sandwich?«
»Danke ...« Pip streckte die Hand nach dem Teller aus, den Susan ihr reichte, hielt aber mitten in der Bewegung inne, als sie bemerkte, dass das Sandwich darauf aus Baguette gemacht war.
»Ach, vielleicht später, eigentlich bin ich gar nicht hungrig.«
Das waren doch Zahnabdrücke, oder?
Die nach draußen führende Küchentür, die – ganz gleich, welches Wetter herrschte – niemals richtig geschlossen wurde, damit die beiden Terrier Eddie und Emerald sowie Persi jederzeit ein- und ausgehen konnten, öffnete sich mit einem Quietschen. Emerald trottete herein.
Als zierlicher Welpe hatte sie rostrotes Fell gehabt, inzwischen war sie zu einer robusten Mischung aus Terrier und Whippet herangewachsen, mit dunkelbraunen Augen, krausem Fell, zarten Beinen, hübschen kleinen Füßen, aber dennoch stämmiger Statur. Sie war die kleinste in diesem überschaubaren Rudel, aber mit Abstand die intelligenteste und daher auch klar die Anführerin, die sich lediglich der neunjährigen Gypsophila unterordnete. Pips jüngste Schwester war völlig vernarrt in die drei Hunde. Und die drei Hunde waren genauso vernarrt in sie.
Auf dem kleinen, beseelten Hundegesicht machte sich überraschte Freude breit, als das Tier Pip
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