Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
sah. Auch Emerald war ein Findelkind gewesen, in einem Karton ausgesetzt vor der Tür der Tierarztpraxis in Bristol, wo Pip sie fand. Die folgenden acht Wochen war sie Pip nicht von der Seite gewichen, bis Pip sie schließlich mit nach Cornwall nahm. Dort war das Tier mit ihren neuen Freunden Eddie und Gypsy auf den sechs Hektar Gärten, Wiesen und Koppeln von Arandore herumgetollt und hatte – wenn ein Hund das denn konnte – so glücklich gestrahlt, dass Pip es nicht übers Herz brachte, sie wieder Tag für Tag in einen Korb unter ihrem Praxisschreibtisch zu verbannen.
Nachdem Emerald aufgeregt um Pip herumgetanzt war, sprang sie auf ihren Schoß, leckte sie kurz am Kinn und machte es sich dann bei ihrer ersten Ziehmutter bequem. Zehn Minuten später tauchte – verdächtig früh für einen normalen Schultag – Gypsy auf, und im selben Moment Eddie, der Border Terrier, der Pips jüngste Schwester aufgeregt bellend begrüßte.
Gyps war nicht besonders groß für ihr Alter, dafür aber langbeinig und gertenschlank. Mit ihrem kleinen, herzförmigen Gesicht, den großen, klugen, hellblauen Augen und dem wilden, goldblonden Haar, das immer so aussah, als habe sie sich gerade durch ein Gebüsch geschlagen (was sicher auch oft der Fall war), sah sie Judy von allen Charteris-Mädchen am ähnlichsten.
Wie ihre Mutter, war auch Gypsy ihr eigenes Gesetz. Impulsiv. Großzügig. Voller Liebe.
Gleichzeitig fehlte ihr anscheinend ein wichtiger Baustein in jenem System moralischer Leitlinien, das es anderen Menschen ermöglichte, zwischen richtig und falsch zu unterscheiden.
Gypsys Reaktion auf Pips Ankunft ließ sich in etwa mit der von Emerald vergleichen: Fasslungslos. Freudig. Dann sprintete sie auf ihre große Schwester zu, schubste Emerald von ihrem Schoß, nahm selbst darauf Platz und schlang die Arme um Pips Hals.
»Du bist hier! Wie lange bleibst du? Meinst du, Mummy steht jetzt endlich auf, wenn du hier bist? Abi Tilling hat gesagt, ihre Mutter hat gesagt, wenn Mummy noch länger im Bett bleibt, wird sie langsam verschimmeln, und wir werden verwildern wie der Garten, der so schön war, als Pops noch hier war, und der jetzt so vernachlässigt und ein Schandfleck für die ganze Gegend ist ...«
Susan war die Wut anzusehen, die in ihr aufstieg, als sie diese offenkundig wahrheitsgetreue Wiedergabe von Mrs. Tillings Ansichten hörte.
»... da hab ich zu Abi gesagt, wir können wenigstens jederzeit in unserem Garten aufräumen, aber deine Mutter muss den Rest ihres Lebens mit dem Arschgesicht herumlaufen ...«
»Gyps! Das hast du nicht gesagt!«, empörte sich Pip, während sich auf Susans finsterem Gesicht auf einmal ein Grinsen abzeichnete.
»Doch! So eine blöde Kuh!«
»Gyps!«
»Was denn? Sagt Mum auch immer.«
»Was noch lange nicht heißt, dass du das auch sagen darfst. Du weißt doch ...«
»... dass Mummy viele Sachen sagt, die sie nicht sagen sollte und dass ich nicht alles nachplappern darf.«
»Ganz genau.« Pip küsste sie auf ihre goldblonde Mähne und sog den Duft nach frischem Gras und Spülmittel ein.
Shampoo hatten sie wohl auch keins mehr.
Gypsy schmiegte ihren Kopf an Pips Hals.
»Bleibst du dieses Mal für immer? Dir gefällt es in Bristol doch gar nicht wirklich, oder? Du fehlst uns immer so, du musst einfach hierbleiben ... Wenn du hier wohnen würdest, würde ich nicht jeden Tag zum Frühstück und zum Abendessen Bohnen auf Toast kriegen. Ich mag Bohnen auf Toast, aber nicht jeden Tag, und Eddie muss davon furzen, und seine Fürze stinken schlimmer als die von Tante Susan, und das will echt was heißen. Bleibst du über Nacht? Ich hab dich so vermisst, Persicoria! Du mich auch?«
»Zumindest so viel, dass ich es dir einmal ungestraft duchgehen lasse, mich Persicoria zu nennen!«, lachte Pip.
»Bist du wegen Raph hier? Der fehlt mir auch ganz schön. Der war lustig. Und schlau. Hat mir in Spanisch geholfen ...«
»Und mir in Kunst ...«, seufzte Flora.
»Und mir im Gewächshaus«, sagte Susan.
»Und mir mit den Hunden ...«, meldete Gypsy sich schmollmündig wieder zu Wort. »Und Mum mit dem Kochen.«
»Und Viola mit ihren Fahrstunden ...«, fiel Susan ein.
»Großartig«, seufzte Pip. »Er hat also allen mit irgendwas geholfen ...«
Die anderen nickten und schnieften, während Pip erstaunt den Kopf schüttelte.
»... und jetzt hat er alles kaputt gemacht, indem er sich unser gesamtes Geld unter den Nagel gerissen hat. Echt dumm gelaufen.«
Es folgte ein
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