Der Apfel fällt nicht weit vom Mann
breiten Fensterbänken.
Durch den großen, alten Aga-Herd war es stets warm in der Küche, selbst im tiefsten Winter, wenn im Rest des Hauses sibirische Kälte herrschte und man auf den Innenseiten der Fensterscheiben Schlittschuh fahren konnte.
Und dann entdeckte Pip den Hund, den sie gerade fast überfahren hätte. Lang ausgestreckt lag er auf dem Teppich vor dem Herd.
»Wo kommt der denn her?«
»Der Hund? Der gehört uns.«
»Wie bitte? Noch ein Hund?«
Flora warf ihr einen schuldbewussten Blick zu, bückte sich, um dem Hund die cremefarbenen Samtohren zu kraulen, und erklärte: »Gypsy hat sie vor ein paar Monaten mitgebracht.«
»Vor ein paar Monaten ?« Pip runzelte die Stirn. »Aber ich bin doch öfter hier gewesen ... und habe den Hund noch nie gesehen.«
Flora wich ihrem Blick aus.
»Na ja, als wir sie bekamen ... Also, du weißt schon. Wenn du nach Hause kommst, herrscht meistens schon genug Chaos, um das du dich kümmern musst, und da wollten wir dir nicht noch eine Sorge mehr aufhalsen ... Gypsy hatte einen Haufen Müll am Straßenrand gefunden, und in einem der Kartons lag eben dieser Hund ...«
Pip drehte sich der Magen um.
»Manche Leute sind doch wirklich grausam, oder?« Tante Susan schüttelte angewidert den Kopf, und Pip, die schon so viele ausgesetzte Tiere vor der Tür der Tierarztpraxis gefunden hatte, nickte traurig.
»Um genau zu sein«, erklärte Flora weiter, »ging es ihr damals so schlecht, dass wir nicht sicher waren, ob sie überhaupt überleben würde. Die ersten Wochen trug Gypsy sie ständig unter ihrem Pullover mit sich herum und fütterte sie alle fünf Minuten mit winzigen Stückchen Hühnerfleisch. Sie war so winzig! Stimmt’s, Susan?«
»Nur Haut und Knochen ... ein winziges, zerbrechliches Etwas.«
»Winzig?« Pip lachte trocken auf und sah zu dem groß gewachsenen Tier, dessen Kopf selbst im Sitzen bis zu Pips Ellbogen reichte.
»Ein winziger Welpe, der einfach immer weiter gewachsen ist ...« – Flora verdrehte die Augen – »... bis er so groß war wie ein Esel.«
»Und so verrückt wie der Rest der Familie«, fügte Susan hinzu.
»Aber wahnsinnig lieb«, beeilte Flora sich zu sagen.
»Und auch wahnsinnig schön«, pflichtete Pip bei, als der elegante Hund auf alle viere kam, sich auf sie zubewegte, seine Schnauze auf ihrem Knie ablegte und sie aus großen schwarzen Rehaugen auffordernd ansah. Automatisch fing Pip an, ihm über den Kopf zu streicheln. Er hatte champagnerfarbenes Fell.
»Allerdings«, grinste Flora erleichtert. »Wir wussten ja, dass sie dir gefallen würde ... und wir wollten dir auch ganz bestimmt von ihr erzählen, aber letztes Mal, als du hier warst, waren Emerald und Eddie in Bauer Brummigs Küche eingedrungen und hatten seinen Sonntagsjoint geklaut ...«
Bauer Brummig nannten sie den Landwirt, dem das Land zwischen Arandore und dem Fluss gehörte.
Der Name kam nicht von ungefähr. Er war unfreundlich, launisch und ging gleichermaßen geschickt mit Gewehr und mit Schaufel um.
Sein Großvater und Pips Großvater hatten sich vor etwa hundert Jahren wegen irgendwelcher Grenzverläufe so gründlich überworfen, dass das Verhältnis zwischen den beiden Familien bis heute gelinde gesagt angespannt war. Dabei tat Pip wirklich ihr Bestes, um für Frieden zu sorgen.
»Ich werde nie vergessen, wie er ausgeflippt ist und die beiden bei sich festgehalten hat, er wollte sie erst wieder freilassen, wenn wir für den Joint bezahlt hatten, und du musstest herkommen und alles regeln und hast uns angepfiffen, wir seien so unglaublich verantwortungslos, wir könnten nicht mal ordentlich auf einen Goldfisch aufpassen, geschweige denn auf unsere Hunde, und du hättest sie fast mit nach Bristol genommen, und darum dachten wir, erzählen wir dir mal besser nicht, dass wir noch einen dritten aufgenommen hatten, das konnten wir ja bei deinem nächsten Besuch immer noch tun, und dann wäre es sicher nicht so turbulent ...« Floras Redefluss versiegte, dafür füllten sich ihre Augen mit Tränen, als sie daran dachte, weshalb Pip dieses Mal angereist war. Pip brachte es nicht übers Herz, irgendetwas anderes zu sagen als:
»Wie heißt sie?«
Susan und Flora sahen sich an, dann fingen sie an zu lachen.
»Bestimmt wieder irgend so ein schrecklicher Name ...«
»Na ja, also ...« Flora sah reuig zu der Hündin und dann wieder zu ihrer Schwester. »Darüber kann man sich streiten ... Gyps hat sie nämlich Persicoria
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