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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Sonnenuntergang, nicht selten zehn Gran an einem einzigen Tag. Manchmal fühlte er sich kräftig genug, die Treppe hinunterzusteigen oder sogar draußen auf der Gasse einen kurzen Spaziergang zu wagen. Wenn er nachmittags spürte, dass seine Kräfte schwanden, ließ er sich von Edgar hinter den Ohren Blutegel ansetzen und rieb das Opium direkt in die Bissstellen. Während die Blutegel sich festsaugten und immer feister wurden, lag er auf der Ruhebank mit einem Tuch auf der Stirn, das mit einer Mischung aus Opium und Rosenwasser getränkt war.
    Doch er entging dennoch nicht der Bestrafung durch den Teufel. Der Mohnsaft trocknete seinen Mund aus und krümmte seine Finger zu Krallen. Stand man vor seinem Zimmer, hörte man ihn vor Schmerz und Verbitterung laut stöhnen, wenn ihm wieder einmal beim Schreiben die Hände den Dienst versagten. Häufig musste er die Feder beiseitelegen, die Finger spreizen und deren blutleere Spitzen massieren. Das Opium führte auch zu Verstopfung, die sein Blut mit Fäulnis vergiftete. Sein seltener Stuhlgang bestand aus winzigen, schwarzen, mit Blut getränkten Kügelchen.
    Seine Qualen waren für mich eine Labsal. Wenn mir die Haut beim Gedanken an ihn kribbelte und ich nichts lieber getan hätte, als etwas entzweizuschlagen oder jemandem wehzutun, schöpfte ich Trost aus der Gewissheit, dass im Nachttopf dieses Ungeheuers der Teufel mit seinem heißen Schwefelatem lauerte, um ihm das schorfige, wunde Hinterteil zu versengen. Aber das war mir nicht genug. Bei der Erinnerung daran, was ich ihm über Mary erzählt hatte, stieg ein solcher Ekel in mir hoch, dass ich glaubte, erbrechen zu müssen. Nicht, dass ich gelogen oder übertrieben hätte. Ich hatte kein Versprechen gebrochen, kein Geheimnis preisgegeben und nichts gesagt, was Mary abgestritten oder geleugnet hätte. Trotzdem hatte ich sie verraten.
    Und das sollte er mir büßen.
     
    Er schenkte ihr ein Äffchen. Um ihre Stimmung zu heben, wie er sagte. Ein kleines Geschöpf mit verfilztem Fell, schon etwas betagt, aber trotz seiner traurigen Augen und des verhutzelten Gesichts eines alten Mannes war doch etwas Spitzbübisches an ihm. Als sie es in die Küche herunterbrachte, um es mir zu zeigen, war sie vor Freude ganz aus dem Häuschen, und ihre Augen wurden rund vor ungläubigem Staunen über dieses Glück. Sie wollte das Tierchen nicht absetzen, sondern liebkoste es immer und immer wieder, wiegte es in den Armen, strich ihm über das Fell und ließ sich von den winzigen Händchen den Finger festhalten. Als sich das Äffchen ihr endlich entwunden hatte und durchs Zimmer tollte, zog sie ein verzweifeltes Gesicht. Ich nahm sie sanft am Arm und zeigte auf die Anrichte, wo es saß und mit klugen, schelmischen Augen hinter dem blauen Rand der Punschschüssel hervorlugte. Mary blinzelte und mahlte mit dem Kiefer. Dann lachte sie laut auf, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten. Mary hatte seit Monaten nicht mehr gelacht.
    Die Veränderung, die sich an ihr vollzog, grenzte an ein Wunder. Zwar war sie immer noch körperlich schwach und ein wenig unruhig, aber ihr stumpfer Blick hellte sich auf. Ihre Wangen verloren die Blässe, und sie gewann wieder etwas von ihrer alten kindlichen Energie zurück. Sie stopfte sich nicht mehr mit der gierigen Unersättlichkeit eines Verhungernden das Essen in den Mund, und ihr Gesicht wirkte weniger aufgedunsen, wenngleich sich ihr Bauch weiterhin vorwölbte wie bei einem unterernährten Säugling, was durch ihren runden Rücken noch betont wurde.
    Als ich zu ihr sagte, sie solle sich gerade halten, flüsterte sie dem Äffchen etwas ins Ohr und wand sich dessen Schwanz fester um den Hals. Beim Essen saß das Tier auf ihrem Schoß, und sie fütterte es mit den saftigsten Bissen von ihrem Teller. Über den Tisch hinweg beäugte mich das Äffchen misstrauisch und schmiegte sich an Mary, als suchte es bei ihr Schutz vor mir.
    Der Herr drängte Mary, dem Äffchen einen Namen zu geben. Sie überlegte lange, die Zunge im Mund hin und her wälzend, bevor sie beschloss, es Jinks – »Tausendsassa« – zu nennen, was zu dem frechen Kerlchen gut passte. Jeden Nachmittag musste sie Jinks zum Apotheker bringen, der ebenso wie Mary Nutznießer seiner heilsamen Kräfte war. Gewiss lachten sie beide viel über seine Possen und verwöhnten ihn nach Strich und Faden, liebkosten ihn und gaben ihm Bonbons zu fressen.
    Damit nicht genug, ließ der Herr Edgar aus dem Kohlenkeller eine alte Wiege holen, damit das arme

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