Der Apotheker: Roman (German Edition)
Tier einen Schlafplatz bekam. Der Anblick der Wiege jagte mir einen Schauder über den Rücken.
»Nicht hier!«, fuhr ich Mary an, als sie sie an den Kamin stellte. Ich griff nach dem Schürhaken und stocherte so ungestüm in den glühenden Kohlen herum, dass stiebende rote Funken mir die Hände verbrannten. »Wie du dieses verlauste Tier verhätschelst! Willst du das Haus in Schutt und Asche legen?«
Mary verbrachte Stunden damit, die winzigen Laken für die Wiege zu waschen und zu bügeln. Sie versuchte sogar, dem armen Teufel ein Häubchen und ein Kinderhemdchen überzuziehen, die sie irgendwo aufgestöbert hatte. Zum Glück ließ sich Jinks eine solche Demütigung nicht gefallen, und ich war froh, als Mary davon abließ und die Sachen in einer Schublade verstaute. Ich hatte sie vor langer Zeit selbst gewaschen und gebügelt.
Mary war so vernarrt in das Äffchen, dass sie mich kaum mehr wahrnahm. Und ich war dankbar dafür. Während ihrer Krankheit im Winter war sie mir eine Last gewesen, und dass sie meiner bedurfte, war für mich wie eine eiserne Fessel, die mich ans Haus band. Jetzt, da sie genesen war, musste ich mich nicht mehr um ihr Wohlbefinden kümmern. Der Herr hatte sie gern, oder etwa nicht? Und vor meiner Ankunft hier im Haus war sie sehr gut allein zurechtgekommen. Außerdem fehlten ihr die feineren Gefühlsregungen normaler Menschen. Sobald ich es irgendwie würde bewerkstelligen können, würde ich fortgehen. Denn jetzt hielt mich nichts mehr.
Das Verlangen des Herrn nach Opium wurde immer unersättlicher. Mrs Black hielt das Harz zusammen mit den anderen exotischen Substanzen in einem eisernen Schrank verschlossen, den sie jeden Morgen aufsperrte. Stumm und mit konzentrierter Miene maß sie die Tagesration des Apothekers ab, die Edgar zu mischen hatte.
Zehn Gran Opium & acht Gran Rhabarber, zerstoßen mit etwas Kampfer & eingenommen mit einem Glas blutwarmen kanarischen Weins.
Edgar behauptete, er könne das Rezept sogar im Schlaf aufsagen, und selbst ich, die ich das Labor unter keinen Umständen betreten durfte, wusste es auswendig.
Eines späten Abends, als ich mich gerade todmüde zu Bett legen wollte, hörte ich ein Wimmern aus dem Labor. Ich spähte durch den Spalt in der Tür. Mehrere Kerzen brannten – verbotenerweise –, während Edgar Opium in ein Becherglas gab und die Mixtur mit einem langstieligen Löffel verrührte. Schon lange hatte ich nicht mehr so viel Licht gesehen, und es zog mich wie einen Falter magisch an. Edgar blickte sich um, bemerkte mich aber nicht. Hastig wischte er sich die Nase am Ärmel ab und fügte rasch noch einen weiteren Löffel Opium hinzu, dann noch einen, bis die Flüssigkeit in dem Glas schwarz und dickflüssig war. Daraufhin goss er diese zähe, klumpige Masse in eine Flasche. Dann holte er eine Papiertüte aus der Hosentasche, riss sie auf, ließ den Inhalt in das Gefäß mit den Opiumkügelchen rieseln und schüttelte es, um die Mixtur gut zu mischen. Schließlich nahm er die Flasche, zog aus dem obersten Regalbrett eines der alten Bücher des Apothekers heraus, schob die Flasche dahinter und stellte das Buch wieder davor. Als ich den Kopf etwas tiefer durch die Tür steckte, bewegte sie sich leicht und quietschte in den Angeln.
»Mrs Black?«, rief er mit banger Stimme. »Sind Sie es?«
Ich zuckte zurück und rannte die Treppe hoch, bevor er mich entdeckte. Edgar wollte mein Herr werden. Ich hegte keinen Zweifel mehr daran, dass es ihm gelingen würde.
In jener Nacht tat ich kein Auge zu. Ich stand am offenen Fenster, schälte Mooslappen von den Dachziegeln und schleuderte sie mit aller Kraft in Richtung des tiefschwarzen Lochs, das die Kuppel in die Nacht zeichnete. Aber das Moos war leicht, und es wehte eine frische Brise. Die Kuppel erhob sich ungerührt und in makelloser Vollendung. Mr Honfleur hatte mir erzählt, ihr Erschaffer sei der Überzeugung gewesen, Baumeister sei ein Beruf, der nichts einbringe.
Ich hätte Arzt werden sollen,
hatte der alte Mann angeblich gesagt.
Dann wäre ich wenigstens reich geworden.
RESURGAM .
Das merkwürdige Wort schlich sich ungebeten in meine Gedanken, ein Nachklang aus einer der Geschichten, die mir der Buchhändler erzählt hatte. Als der Architekt der Kathedrale auf den zerstörten Fundamenten der alten Kirche seine neue, gewaltige Kuppel entwarf, ermittelte er den zentralen Punkt und ließ einen flachen Stein herbeiholen, der den Steinmetzen als Markierung dienen sollte. Der mit der
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