Der Apotheker: Roman (German Edition)
dessen glatte graue Schnittfläche von Adern durchzogen war.
»Fünf Pfund, mehr nicht«, drängte Edgar, hinter ihr mit den Händen fuchtelnd. »Wie kann ein Geschäft florieren, wenn man nicht investiert? Wer keine Aktien besitzt, kann auch keine Dividende erhalten.«
»Fünf Pfund? Du könntest genauso gut fünfhundert sagen.«
»Na, na, so schlimm kann es um die Finanzen doch nicht stehen.«
»Sogar noch viel schlimmer, Edgar! Er wollte schon vor Monaten mit diesem Traktat fertig sein. Aber wenn er jetzt stirbt, seine Schulden … wovon sollen wir leben?«
Das wehleidige Gejammere meiner Herrin wurde von der Ladenglocke und Mrs Dormers salbungsvollem Gruß unterbrochen. Ich aber jubilierte innerlich und verspürte ein Hochgefühl, das mich aufwühlte. Endlich war es so weit. Hatte ich es denn nicht mit eigenen Augen gesehen? An diesem Morgen hatte mir die Herrin aufgetragen, dem Apotheker frisches Wasser ins Zimmer zu bringen. Ich hatte ihn seit Wochen nicht mehr zu Gesicht bekommen, und wenn ich daran dachte, wie mich sein Anblick zugleich geekelt und ingrimmig erfreut hatte, schlug jetzt mein Herz noch schneller. Ich hatte mir nicht vorstellen können, dass jemand wie eine Leiche aussehen und dabei noch atmen konnte. Seine Wangen waren gelb und eingefallen, das scharlachrote Mal darauf sah aus wie geronnenes Blut. Unter dem Nachtgewand ein Gerippe ohne Saft und Kraft. Das Stöhnen drang wie Schweiß aus seinem Körper, wie die letzten Seufzer der Lebensgeister, bevor sie ihn verlassen würden. An ihm war kaum mehr etwas Menschliches. Als wäre das Fleisch auf seinen Knochen nur eine Verkleidung gewesen, damit er unentdeckt unter den gewöhnlichen Sterblichen leben konnte. Ohne dieses Fleisch nun kam zutage, wie er wirklich war: stinkend und bösartig.
Der Herr lag im Sterben, und er starb einen langsamen und qualvollen Tod. In dieser Woche stand ich jeden Tag rasch und voller Neugier auf, in der Gewissheit, dass noch vor Einbruch der Nacht die Fenster mit schwarzen Tüchern verhängt und auf der Treppe flüsternde Stimmen zu hören wären. Ich glaubte fest daran, dass man mich nach seinem Tod nicht länger hier festhalten konnte. Welche Abmachungen auch immer er getroffen haben mochte, sie würden mit seinem Ableben erlöschen. Dann wäre ich frei. Doch seine Zähigkeit trotzte aller Erwartung. Er klammerte sich mit der ihm verbliebenen Kraft verbissen an das Leben, auch wenn sein Atem kaum mehr war als ein Hauch. Nachts schrie er, gepeinigt von Träumen und vom Klappern der Fenster. Rings um das Fenster im Salon hatte ich Lumpen gestopft, damit es nicht zu Bruch ging, aber das Fenster in seinem Zimmer kümmerte mich nicht. Unsere Nachbarn waren aufgebracht und beschwerten sich über die Störung, und ich vermutete, dass viele aus Angst vor Ansteckung den Laden mieden, denn es kamen nur noch wenige Kunden. Mrs Blacks Finger huschten über das Rechenbrett und ließen die Perlen in schwindelerregendem Tempo hin und her fliegen.
Das Haus hielt den Atem an. Nur Edgar wirkte vergnügt und unbeschwert, als könnten ihm die gespannte Atmosphäre, die fiebrige Stille nichts anhaben. Denn Edgar, verschwenderischer Verfechter zahlloser gescheiterter Vorhaben und Schuldner bei gut zwanzig Gläubigern in der ganzen Stadt, hatte einen neuen Plan.
»Das Haus gehört dem Herrn, wusstest du das?«, sagte er eines Tages zu mir, während er, die Füße auf dem Küchentisch, sich mit dem Käsemesser die Fingernägel säuberte. »Erstaunlich, nicht wahr? Er hat Mrs Black im Glauben gelassen, es sei gemietet, zweifellos, um sie zur Sparsamkeit anzuhalten. Aber, Menschenskind, als ich seine Unterlagen geordnet habe, habe ich keinen Mietvertrag gefunden. Es ist wirklich und wahrhaftig sein Haus.«
»Und was hat sie gesagt, als du es ihr erzählt hast?«
»Du Dummerchen. Es ihr erzählt? Was hätte ich dann davon?«
Er wollte sie nämlich heiraten und begann unverzüglich, seinen Plan in die Tat umzusetzen. In jener Woche, in der wir alle darauf warteten, dass der Apotheker seinen Geist aufgab, umschmeichelte er Mrs Black in geradezu grotesker Weise. Edgar kannte kein rechtes Maß, ihm fehlte jeglicher Sinn für die auf ein langfristiges Ziel gerichtete Strategie eines Schachspielers, und es machte ihm auch kein Vergnügen. Ausgeklügelte geheime Machenschaften waren nicht seine Sache. Und er war wild entschlossen. Die kleinste Bemerkung der Herrin, etwa, dass der Regen ein wenig nachlasse, veranlasste ihn zu
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