Der Apotheker: Roman (German Edition)
schwieg, bis sein Schluchzen einem Schluckauf wich und er mit wehleidiger Miene und umschlungenen Knien sich selbst zu wiegen begann. Da schickte ich ein stummes Gebet zum Himmel und drückte mir die Daumen.
RESURGAM .
»Meine Mutter kannte ein Mittel gegen die Pocken«, sagte ich bedächtig. »Ohne Quecksilber. Nicht selten hat es geholfen.«
Edgar schnaubte verächtlich. »Bin ich so tief gesunken, dass ich auf die stümperhaften Mixturen einer Dorfhexe angewiesen bin?«
»Meine Mutter war keine Hexe. Aber wenn du dir zu fein bist …«
»Nein, nein!«, beteuerte Edgar schnell. »Bitte. Versuchen wir es. Ich bitte dich. Bitte.«
»Ich brauche natürlich deine Hilfe, um das Mittel herzustellen. Ich muss ins Labor.«
»Selbstverständlich.«
»Und es wird dich etwas kosten. Einen Shilling pro Fläschchen.«
»Einen Shilling pro Fläschchen? Aber …! Also gut. Einverstanden. Was immer du willst.«
Als ich schließlich wieder ins Bett schlüpfte, wob die Morgendämmerung ein Band feinster Chiffonseide zwischen den Schornsteinen. In dem bleichen Licht wirkten die Verstrebungen der Kuppel wie Finger, die auf den dunklen Schädel der Kathedrale drückten.
» RESURGAM
«, flüsterte ich vor mich hin und umklammerte den eisernen Fenstergriff so fest, dass sich sein Muster auf meiner Handfläche abzeichnete. »
RESURGAM .«
auf der Suche nach Paracelsus,
dem Vater der modernen Medizin
der Ironie des Ganzen bin ich mir durchaus bewusst,
denn sagte nicht Paracelsus selbst: »Was einen Menschen
krank macht, das macht ihn auch gesund«?
hinter den Büchern versteckt eine Flasche Tinktur
mein Opium
Mrs Black hat zu mir gesagt, sie sperrt das Opium weg,
um Missbrauch zu verhindern
& doch, hier ist es
dem Geruch & der Zähflüssigkeit nach zu urteilen, in einer
Konzentration von 50 bis 60 Gran pro halben Liter,
vielleicht mehr
gedacht als eine Art Versicherung für sie?
jetzt für mich
ich halte die kostbare Flasche in der Hand, die ausreicht,
um jemanden zu töten, & ich muss mich fragen:
will sie mich retten oder zugrunde richten?
XXVIII
I ch tastete hinter die bejahrten Bände und wirbelte dicke Staubwolken auf, bekam aber nur Spinnweben zu fassen. Ungeduldig zog ich einen Band heraus, dann noch einen und spähte in das Regal. Mir blieb nur wenig Zeit. Mrs Black war ausgegangen, um Besorgungen zu machen, Mary und das Äffchen hielten sich beim Apotheker auf, und im Laden hörte ich Edgar unruhig mit Flaschen klappern. Hastig griff ich noch einmal ins Regal, diesmal so tief ich konnte. Aber obwohl ich die ganze Rückseite abtastete, fand ich nichts.
Die Flasche mit der Opiumtinktur war verschwunden.
Rasch stellte ich die Bücher wieder an ihren Platz zurück und versuchte, klar zu denken. Die Opiumvorräte des Ladens waren in einem eisernen Schrank verschlossen, zu dem nur Mrs Black einen Schlüssel besaß. Selbst wenn es mir gelänge, ein wenig davon zu stibitzen, wenn ich die Tinktur des Herrn mischte, würde sie bald dahinterkommen.
Es gab nur eine Möglichkeit. Ich musste selbst welches kaufen. Eine solche Aktion würde List und Tücke erfordern und mich einen großen Teil des Geldes meiner Mutter kosten, aber während die Tage vergingen und die Mauern der Swan Street sich immer enger um mich schlossen und die ersten Anzeichen des nahenden Frühlings erstickten, ahnte ich, dass sich der Aufwand und die Ausgaben lohnen würden. Was konnte besser sein, als mir mit dem Geld meine Freiheit zu erkaufen? Tallys Elixier. So wirkungsvoll, dass es einen Todkranken wieder zu Kräften bringt. Nachts, beim Blick aus dem Fenster, kreisten meine Gedanken um Stößel und Filter, Wein und Kräuter, Fläschchen und Wachssiegel. Und wenn ich endlich einschlief, träumte ich davon, eine Phiole in der Hand zu halten, dunkelrot wie Annette Honfleurs Brosche; doch als ich den Korken herauszog, verflüchtigte sich die Flüssigkeit zu schwarzem Rauch, und zurück blieb nur der beißend scharfe, erstickende Geruch nach verbranntem Karamell.
Drei Wochen vergingen, bis mich der Apotheker erneut zu dem Buchhändler schickte. Die Warterei schlug mir auf den Magen. Obwohl es allmählich wärmer wurde, blieb das Haus feucht und kalt. Bleiches Sonnenlicht fiel auf den Staubschleier der Fenster, ohne ihn durchdringen zu können. Böse und triumphierend krochen die Schatten ungehindert über den Fußboden, und der Herr gewann neue Kräfte, gestärkt durch Opium und Bosheit. Und durch Mary und das Äffchen, die er
Weitere Kostenlose Bücher