Der Apotheker: Roman (German Edition)
legen. Weder klappte sie ihr Buch zu, noch veränderte sie ihre kerzengerade Haltung. Sie neigte nur den Kopf ein wenig in den Nacken, sodass er an seinem Kinn ruhte.
»Ich bin ein sehr törichter, anschmiegsamer alter Mann«, murmelte er in ihre Haube.
Sie lächelte, den Blick nach wie vor auf die Buchseite geheftet, streckte die Hand aus und legte sie ganz sanft auf seine Wange.
»Und ich deine Cordelia? Offen gestanden, ich fürchte, du bist nicht ganz bei Trost.«
Er lachte leise, schloss die Augen und zog seine Tochter an seine Brust. Ich musste an meine Mutter denken, wie sie mich unter das Kinn fasste, wenn sie ihre Nase an meiner rieb, und wie ihr spitzes Kinn im Schlaf an meiner Schulter ruhte, und es versetzte mir einen Stich in der Brust.
Schnell, solange noch Verstand in mir ist. Ich habe die Dosis immer weiter erhöht, aber es gelingt mir nicht, diese teuflischen Albträume zu vertreiben. Ich gehe durch die Hölle, der Tod ist mir auf den Fersen. Seine Augen sind rot vor Gier & vom Blut unbedeutender Menschen, aber ich finde keinen Ausweg. Es gibt keinen Ausweg.
Ich gelobe, es nicht einzunehmen. Doch Schmerz und Pein überwältigen mich, & am Ende kann ich nur noch an den Mohn denken. Ich würde auf dem Bauch kriechen & mit der Zunge den Staub vom Boden lecken, wenn ich nur einen Löffel dieser kostbaren Flüssigkeit bekäme. Ich bin ein Tier, eine jämmerliche, heulende Bestie, ohne Sinn & Verstand wie ein tollwütiger Hund.
O mein Herr & mein Gott, wie weit ist es mit mir gekommen? Diese Pflanze ist mein Gott geworden, der Altar, vor dem ich mich niederwerfe, das tückische Wohlgefühl des Teufels. Ich schließe die Augen, & er erscheint auf dem roten Samt meiner Lider, den Mohn in der schwarzen Hand, seine Stimme hüllt mich ein wie Rauch. Trink, sagt er, & ich trinke. Empfinde nichts, sagt er, & ich lächle & empfinde nichts. Schlaf, sagt er, & ich lege meine Feder nieder wie ein Kind. Er lacht, wenn die Worte nicht mehr fließen, & klatscht vor Freude in die Hände. Jetzt, sagt er, bin ich in dir & ein Teil von dir. Wenn deine Seele schläft, ströme ich durch deine Adern, schwärze dein Blut & errichte meinen Altar in deinem gefühllosen Herzen. Jetzt gehörst du mir.
Ich darf nicht nachgeben. Leben heißt leiden. Hat unser Herr Jesus Christus nicht das Leiden am Kreuz auf sich genommen & nur nach Wasser verlangt, um seine ausgetrocknete Kehle zu netzen? Die Schöpfung wird ihre Geheimnisse nicht einem gleichgültigen Beobachter preisgeben. Nur im Schmerz werden wir die Wahrheit finden. O Gott, stärke meine Entschlossenheit & gib mir den Mut, Deinen Willen zu tun.
AMEN
XXVI
A m 1 . März, als die Kälte den Verputz von den Wänden schälte und es so aussah, als käme niemals der Frühling, peitschten heftige Stürme über die Stadt. Der Wind heulte in den Kaminen, rüttelte an den Fenstern und ließ die Ladenschilder in den Angeln schaukeln und ächzen. In seinem Zimmer unter der Dachkammer tobte und wütete hingegen der Herr mit einem Getöse, das die Nächte erbeben ließ. Auf den Straßen hielten die Männer ihre Hüte krampfhaft fest, und die Pferde wieherten ängstlich, erschrocken über plötzlich aufwirbelnde Staubwolken und umherflatternde Kohlblätter. In der Paternoster Row wurde eine Frau von einem herabstürzenden Ziegelstein erschlagen. Doch obwohl die prallen Regenwolken jenseits der fernen Hügel immer dicker und dunkler wurden, regnete es nicht.
Ein unruhiges, bedrohliches Wetter.
»Der Herr weigert sich, seine Medizin einzunehmen«, verkündete Edgar am dritten Tag des Unwetters. »Was für ein Narr! Jeder Apotheker, der diesen Namen verdient, weiß doch, dass die Wahrscheinlichkeit, zu sterben, hundertmal höher ist, wenn man das Opium absetzt, anstatt es weiter einzunehmen. Noch ehe die Woche um ist, wird Mrs Black Witwe sein.«
Edgars Unkerei ließ sich nicht mehr als die haltlosen Übertreibungen eines Aufschneiders abtun. Ich hatte meine Herrin noch nie so bedrückt gesehen. Sie aß keinen Bissen. Und ich glaube, sie tat auch kein Auge zu. Nachts, wenn der Wind ums Haus fegte und an Türen und Schlössern rüttelte, saß sie im Salon über die Hauptbücher gebeugt und ließ die Perlen des hölzernen Rechenbretts klicken. Im Schein des rußenden Binsenlichts glitzerte ihr Haar in silbrigen Fäden, und ihre Wangen wirkten hohl und eingefallen. Neben sich hatte sie einen Stapel Briefe liegen, gegen den Luftzug mit einem Feuerstein beschwert,
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