Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
Vom Netzwerk:
Stangen aufgeregt hin und her und krächzten dabei jämmerlich. Der Hausierer zog ein finsteres Gesicht. Idioten waren schlecht fürs Geschäft.
    »Kaufen«, bettelte Mary und deutete dabei auf einen Vogel, der sich in eine Ecke seines Käfigs kauerte. Seine Ängstlichkeit passte so gar nicht zu dem grellen Scharlachrot seines Gefieders.
    »Na, wie denn?«, gab ich ärgerlich zurück. »Wir haben ja kaum genug Geld für Essen.«
    Mary streckte ihre zappligen Finger dem Vogel entgegen, der den Kopf blitzschnell unter einem seiner Flügel verbarg.
    »Kaufen«, sagte sie noch einmal, diesmal drängender.
    »Aber, Mary, das ist doch nur eine gewöhnliche Taube mit gefärbten Federn, und noch dazu halb tot. Was willst du denn mit der?«
    Mit bebenden Schultern ballte Mary ihre Hand um die Käfigstangen zur Faust. Ich berührte sie sanft am Arm und zog sie von dem Käfig weg. Als sie endlich losließ, war ihre Hand innen rosarot gefärbt.
    »Tut weh«, greinte sie, wiegte sich dabei hin und her und schlug sich mit den Fäusten an die Brust. »Tut weh, Lize.«
    Ich nahm sie sanft in den Arm, drückte meine Wange an die ihre, und die Lust, mich an Mr Black zu rächen, ließ mir die Röte ins Gesicht steigen.
    »Ich weiß«, flüsterte ich. »Ich weiß.«
    »Kauft ihr ihn nun oder nicht?«, brummte der Hausierer.
    Sanft nahm ich Mary bei der Hand »Komm, gehen wir. Was hältst du von einer Wurst zum Abendbrot?«, fragte ich leichthin.
    »Wur’? Für mich?«
    »Ja, für dich. O Mary, ich mache alles wieder gut, ich schwöre es dir.«
    Über mir, jenseits eines im Schatten liegenden Dachvorsprungs, blitzte im Abendrot etwas auf. Ich musste gar nicht erst hinaufsehen, um zu wissen, dass es das goldene Kreuz der Kathedrale war. Seit Wochen hatte ich sie nicht mehr gesehen, aber ich wusste, dass sie da war und mit wachsamem Auge über die Metropole herrschte. Was auch geschah, wie heimlich oder unbedeutend es immer sein mochte, nichts entging ihrer Aufmerksamkeit. Sie sah und hörte alles. So wie ihr cremefarbener Stein die stinkende Luft der Stadt aufsog und sich den schmierigen Ruß einverleibte, so nahm das Innere ihrer vergoldeten Kuppel all die teuflische Lebensenergie dieser Stadt in sich auf, und jeder üble Gedanke und jede schlimme Tat würde einen Fleck auf dem Altar oder den Engeln hinterlassen, die ihre Kolonnaden krönten.
    Jedes Bauwerk sollte auf die Ewigkeit hin ausgerichtet sein.
    Doch der Gestank und die Verkommenheit von einer Million falsch gelebter Leben würden der Kathedrale nichts anhaben können, im Gegenteil. Mir schien, als würde die Kathedrale ihre Stärke geradezu aus all diesem Schmutz und Unrat beziehen und ihre Wurzeln Tag für Tag noch tiefer in den verseuchten Londoner Boden graben, während die Kuppel in ihrer Erhabenheit wie eine riesige Lunge den fauligen Odem der Stadt in sich sammelte – die bissigen Zoten der Flussarbeiter, die Schreie der Ausgeraubten und die Flüche der Mörder ebenso wie die gemurmelten Beichten und das Rascheln der Geldscheine. Genährt von den Sünden Londons, an denen kein Mangel bestand, würde die Kathedrale selbst die Ewigkeit überdauern.
    Ich hielt den Blick auf das Kreuz gerichtet, ohne auch nur ein einziges Mal zu blinzeln, bis mir sein Glanz ein Loch in den Schädel zu brennen schien. Als ich dann die Augen schloss, glommen in der Dunkelheit hinter meinen Lidern zwei feurige rote Balken.
    »Komm jetzt«, sagte ich energisch und nahm Mary bei der Hand. »Ich bin ganz ausgehungert.«

sie ist verschwunden ganz & gar verschwunden nirgends
    eine Spur von ihr
    es ist vorbei
    eine Meereswelle soll meine Fußspur im Sand verwischen
    kein Zeichen kein Schatten
    niemand der sich erinnert
    die Flut kommt ich sehe ihren Schaum am Horizont
    dann nichts mehr
    es liegt an unserem Streben dass wir Erlösung nicht im Erfolg finden
    die große Aufgabe des Lebens ist die Vorbereitung auf den Tod
    ein Leben das im Dienst des Herrn gelebt wird
    er beurteilt uns nicht nach unseren weltlichen Triumphen sondern
    nach unserer Eignung für den Himmel
    o Gott wie ist das nur zu ertragen

XXXIX
    A m nächsten Tag ging ich erneut zum Kirchhof. Vor der Westfassade der Kathedrale hielt ich kurz an, um mir die vorstehenden Haarspitzen unter die Haube zu streichen und den Ring aus dem Ärmelsaum zu holen, den ich mir mit Mühe wieder über den Finger streifte. In dem fahlen grauen Licht glänzte er unnatürlich gelb. Vor dem Westportal unterhielt sich eine Gruppe wohlhabend aussehender

Weitere Kostenlose Bücher