Der Apotheker: Roman (German Edition)
aufs Spiel gesetzt hatte, die mir mehr bedeute als das Leben selbst. Und mit jedem Schritt wurde ich mir sicherer, dass ich dort auf Mrs Black stoßen würde, hinter der Ladentheke, die Hände wie Klingen über dem Schoß gekreuzt.
Ich spürte schon den stechenden Schmerz der Birkenrute auf meinen Händen, als ich den Knauf drehte. Die Tür ließ sich nicht öffnen. Erst als ich genauer hinsah, merkte ich, dass der Vorhang zugezogen war und davor ein Schild hing, auf dem zu lesen stand, dass der Laden vorübergehend geschlossen sei. Ich starrte mein verzerrtes Spiegelbild in den dicken Fensterscheiben an und erschrak, wie rau meine Haut war, wie verschmutzt und stumpf mein Haar, wie zerknittert meine Haube, die durch den endlosen Dampf jede Form verloren hatte. Meine Röcke waren staubig und schmutzstarrend, meine Hände rot und schrundig. An mir war nichts von der Ehefrau eines Buchhändlers. Ich blickte nicht zu der Kathedrale hoch, als ich über den Kirchhof zurückging, den heißen Gestank der Lauge in der Nase. Ich floh in die Drury Lane mit ihren geduckten Häusern, schmutzig und hoffnungslos, und ihren schmutzigen und hoffnungslosen Menschen, die unerkannt und unbemerkt durch die staubigen Gassen huschten.
Es war ein windstiller Tag, und die Laken hingen träge wie Vorhänge an den Leinen. Ich rief zu Mary hinüber, die sich an der Kurbel der Mangel abmühte, das Gesicht glänzend vor Schweiß. Als sie mich sah, richtete sie sich auf und kam, noch während sie sich die schmerzenden Schultern massierte, auf den Hof, wo sie mir zur Begrüßung zuzwinkerte. Dann sah sie plötzlich hoch, legte eine Hand auf den Mund und deutete über meinen Kopf. Die mit einem Ascheschleier bedeckten Laken knisterten und bauschten sich – das Äffchen des Gauklers tollte auf der Wäscheleine herum. Es trug seinen üblichen roten Samtrock, aber anstelle eines Huts hatte es sich ein Spitzentaschentuch um den Kopf gebunden und hielt es unter dem Kinn mit einer Hand zusammen. Dann fuhr plötzlich eine Hand hoch und pflückte das Äffchen von der Leine.
»Böser Junge«, schimpfte der Gaukler. »Gib es mir.«
Das Äffchen kniff ihn in die Nase. Als Mary hinter vorgehaltener Hand glucksend zu lachen begann, drehten sich Gaukler und Äffchen zu ihr um.
»Hallo«, sagte ich schüchtern.
Der Gaukler sah ein wenig verdutzt drein, dann lächelte er. Das Äffchen ließ das Spitzentaschentuch auf den Kopf seines Herrn fallen und hüpfte Mary auf die Schulter, wickelte sich ihr kupferfarbenes Haar um die Finger und murmelte ihr etwas ins Ohr. Der Gaukler schnalzte mit der Zunge, um das Tier zu sich zu rufen, aber es gehorchte nicht, sondern rieb seine Wange sanft an Marys bleichem Gesicht. Mary kniff die Augen zu, ihre Hände öffneten und schlossen sich rhythmisch.
»Jinks«, keuchte sie.
»Er heißt Jabba«, sagte der Gaukler zu ihr und sah mich von der Seite an. »Er mag dich. Ich habe noch nie erlebt, dass er einem Fremden gegenüber so zutraulich war. Wie heißt du?«
Sie antwortete nicht.
»Das ist Mary«, sagte ich.
»Deine Schwester?«
»Nein. Auch wenn ich mich glücklich schätzen würde, wenn sie es wäre. Sie ist meine Freundin.«
Der Gaukler sah Mary an, lächelte und hielt dem Äffchen mit ausgestreckter Hand einen Apfel hin. Das Tier hüpfte begierig auf und ab und streckte ebenfalls die Hand aus, bequemte sich jedoch nicht von Marys Schulter.
»Er weicht nicht von deiner Seite, Mary. Hilfst du mir, ihn zu füttern?«
Er schälte den Apfel so gekonnt, dass sich die Schale in einem einzigen Kringel von seinem Messer wand. Die Schale reichte er dem Äffchen, das sie in zwei Hälften riss und eine davon Mary anbot.
»Und du?«, sagte der Gaukler und schnitt den Apfel in Stücke. »Deinen Namen kenne ich auch nicht.«
»Ich heiße Eliza.«
»Eliza. Was führt dich in den Little Whalebone Court, Eliza?«
Ich zuckte mit den Schultern und lächelte scheu. Der Gaukler lächelte ebenfalls. Er hatte ein freundliches Gesicht. »Das Schicksal«, sagte ich leise. »Und die Not.«
Als ich meine Arbeit beendet hatte, gingen Mary und ich schweigend hinunter Richtung Fluss. Es war ein purpurroter Sommerabend, und in der Bishopsgate Street sahen wir einen Hausierer, der im Schein einer Öllampe Vögel verkaufte. Sie sahen erbärmlich aus, die Federn stumpf und fleckig, aber Mary war ganz angetan von ihnen, steckte die Finger zwischen die Käfigstäbe und schnalzte leise mit der Zunge. Die Vögel hüpften auf ihren
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