Der Apotheker: Roman (German Edition)
mich. »Dann geben Sie es also zu? Dass Sie … dass Sie der Vater von Marys Kind sind?«
Über Mr Jewkes’ Gesicht huschte ein Ausdruck der Verwirrung. »Du missverstehst mich. Ich bin ihr Vater.«
»Ihr Vater? Aber ich … das begreife ich nicht.«
»Nein, ich begreife es ja kaum selbst. Trotzdem, ich bin ihr Vater.«
Ich starrte ihn verständnislos an. »Sie sind Marys Vater?«
»Ja. Gott möge mir vergeben, ihr Vater. Und sie heißt nicht Mary. Sie hat nie Mary geheißen. Ihr Name ist Henrietta. Henrietta Sarah Jewkes. Meine zweite Frau wollte nicht … sie wollte sie loswerden. Und ich habe es zugelassen. Ich habe sie weggegeben.«
Ich schüttelte wie benommen den Kopf. »Sie sind ihr Vater?«
»Ja. Auch wenn ich diesen Namen kaum verdient habe.« Er seufzte bekümmert und senkte den Blick auf seine Hände. »Wie geht es ihr?«
Ich dachte an all die Verwünschungen, die ich über ihn ausgeschüttet hatte, an die Bilder, die meine Einbildungskraft bestürmt und mich zermartert hatten. Ich dachte an Marys blasses, schweißglänzendes Gesicht, an ihr leises, gequältes Gemurmel, wenn sie sich im Schlaf umdrehte. Er war also ihr Vater. Ich wagte kaum, ihn anzusehen.
»Es geht ihr gut«, stieß ich schließlich flüsternd hervor. »Obwohl ihr Martyrium entsetzlich war.«
»Würdest du mir erlauben, ihr einen Arzt zu schicken, nur um sie sich anzusehen? Es … es wäre für mich ein Trost, zu wissen, dass sie in guten Händen ist.«
Im selben Augenblick überkam mich das Gefühl, als wollte er mich übertölpeln. »Wenn Sie glauben, Sie könnten mir ihren Aufenthaltsort entlocken, so haben Sie sich getäuscht. All die Jahre haben Sie sich nicht wie ein Vater verhalten. Warum sollte ich Ihnen jetzt trauen, wo so viel auf dem Spiel steht?«
Mr Jewkes schluckte schwer und ließ die Schultern sinken. »Ich … ich weiß es nicht«, sagte er kaum hörbar. Er starrte zu Boden. Dann tastete er nach einer dicken ledernen Geldbörse in seinem Rock. Er öffnete sie nicht, sondern drückte sie mir in die Hand. »Hier. Gold schweigt und übt keinen Verrat. Kümmere du dich um sie.«
Ich wog die Geldbörse in meiner Hand. Sie war schwer. Nach der Entbindung schien es zunächst, als würde Mary schnell genesen. Aber als ich ihr am Abend zuvor geholfen hatte, vom Nachttopf aufzustehen, hatte sie gestöhnt und wäre beinahe gestürzt, und ich hatte das dunkle Blut aufgewischt, das ihr die Beine hinunterlief. Im Topf war noch mehr Blut gewesen, außerdem ein weinroter Klumpen, glänzend wie Schweineleber. Dann hatte sie auch wieder Fieber bekommen.
»Geh«, drängte er sanft. »Hier gibt es für dich nichts mehr zu tun. Und wenn du willst, sag meiner Tochter, dass ich es mir niemals verzeihen werde. Und dass ich sie immer geliebt habe, auch wenn ich ihr ein schlechter Vater war.«
Von unten war ein erregter Wortwechsel zu hören, eine Tür wurde zugeschlagen. Jewkes seufzte, rieb sich das Kinn und starrte den Apotheker ungerührt an.
»Mein Bursche soll heraufkommen. Man muss nach dem Priester schicken und dem Leichenbestatter. Auch nach dem Totengräber, damit die Glocken geläutet werden und die Todesursache ordnungsgemäß festgestellt wird. Das Wetter ist warm, wir sollten keine Zeit verlieren. Und was diese … diese Kreatur da unten betrifft …«
Er unterbrach sich, als Edgar die Treppe heraufgestolpert kam. Die Perücke saß ihm schief auf dem Kopf, seine Wangen trugen Kratzspuren.
»Ich benötige Ihre Hilfe, Sir … die Herrin. Der Tod des Herrn hat ihr einen schweren Schlag versetzt. Sie … nun ja, sie ist zutiefst verstört. Nicht bei Sinnen.«
»Gewiss …«
»Bitte, Sir«, drängte Edgar mit sichtlichem Unbehagen. »Wenn Sie sich selbst überzeugen wollen …«
»Himmel Herrgott!«, knurrte Jewkes, aber als er meinen Blick auf sich spürte, biss er sich auf die Lippen. »Also gut. Bring mich zu ihr.«
Edgar stieß den Mann beinahe die Treppe hinunter. Die schwere Geldbörse in der Hand, sah ich mich im Zimmer des Apothekers ein letztes Mal um. Es roch nach Tintenpulver und ungelüfteten Perücken. Das Überraschende am Tod war letztlich seine Gewöhnlichkeit. In der Abenddämmerung war die eiserne Kuppel vor dem Fenster in ein grelles lavendelfarbenes Licht getaucht und wirkte so lächerlich wie eine füllige Matrone, die geschminkt war wie ein junges Mädchen.
Ich schloss die Tür hinter mir und ging langsam die dunkle Treppe hinunter. Wie das Rückgrat eines Skeletts, dachte ich
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