Der Apotheker: Roman (German Edition)
Lärm der Kutschen und Pferde und das geschäftige Treiben der Reisenden. Aber soweit ich sah, hätte jeder der sieben Wagenschuppen des Gasthofs selbst für den anspruchsvollsten ländlichen Gutsherrn Platz genug geboten.
Der Gasthof mit seinem eleganten Säulenvorbau und den prachtvollen Fenstern, jedes aus einer einzigen großen Glasscheibe bestehend, war derart beschaffen, dass ich mir den Palast selbst des Königs nicht prunkvoller vorstellen konnte. Vor Staunen stand mir der Mund offen. Ich konnte gar nicht fassen, was sich meinen Augen darbot, bis ein Kutscher so dicht an mir vorbeifuhr, dass ich die Wärme der Pferdeflanken fühlte und wohl den Peitschenschlag auf meiner Wange zu spüren bekommen hätte, wäre ich nicht einen Schritt rückwärts in eine Pfütze getreten. Augenblicke später sagte ein Mann in einem eng anliegenden schwarzen Rock zu mir, ich solle den Mund zumachen und weitergehen, damit er mir das Loch nicht mit dem Stöpsel stopfen müsse, den er griffbereit zwischen seinen Beinen trage. Noch ehe mir eine passende Antwort einfiel, war er verschwunden. Sämtliche Reisende, die in London ankamen, hatten, so schien es, wichtige Geschäfte zu erledigen. Geschäfte, die so dringlich waren, dass bereits eine Minute Verzögerung die schlimmsten Folgen haben würde.
Die Mittagszeit war kaum vorüber, und schon war der Nachmittag grau wie bei Einbruch der Dunkelheit. Durch die hohen Fenster des Gasthofs sah ich das unstete Flackern zahlreicher Kerzen und die rötliche Glut eines Feuers. Vor Erschöpfung hatte ich einen Schluckauf bekommen, daher hielt ich mit der rechten Hand meinen linken Daumen gedrückt, so fest ich konnte. Ich wollte nicht, dass mir an einem solchen Tag ein Unglück geschah. Kurz spielte ich mit dem Gedanken, mich in dem behaglichen goldenen Innern des Eagle & Child zu verbergen, so lange es ging, vielleicht für immer. Aber noch ehe ich einen Schritt auf die Tür zu machen konnte, sprach mich ein Botenjunge an. Er fragte, ob ich mit der Kutsche aus Newcastle gekommen sei, und erklärte, der Apotheker habe ihn beauftragt, mich unversehrt zu ihm zu bringen. Um meine Truhe solle ich mir keine Sorgen machen. Sie würde mir am späteren Nachmittag mit einem Träger nachgeschickt werden. Wir könnten also unverzüglich aufbrechen.
Das Gesicht des Jungen wies um den Mund herum dunkelrote Flecken auf, und seine Hände waren schmutzig, aber er hatte wache Augen und wirkte durchaus wohlgenährt. Eingedenk der Warnungen des Bäckerlehrlings richtete ich mich zu voller Größe auf und fragte, wie ich denn sicher sein könne, dass er tatsächlich von meinem Dienstherrn geschickt sei. Ich hätte, so erklärte ich, nicht die Absicht, mich von einem gemeinen Dieb übertölpeln und ausrauben zu lassen. Als ich mir diese kleine Ansprache im Kopf zurechtgelegt hatte, klang sie durchaus eindrucksvoll. Doch statt damit aufzutrumpfen, machte ich nur eine klägliche Figur, denn vor Erschöpfung und Müdigkeit zitterte mir die Stimme. Und zu meinem großen Verdruss merkte ich, dass ich den Tränen nahe war. Der Junge zuckte nur mit den Schultern und schnäuzte sich, indem er sich mit dem Handrücken über die Nase fuhr, und auf dem staubigen Boden blieb eine Schleimspur zurück.
»Mrs Black hat mich hergeschickt. Hat gemeint, dass du dich allein verläufst, weil du ja noch nie in London warst. Und dass du froh bist, wenn dir jemand den Weg zeigt. Hat mir Sixpence gegeben und so.« Er stocherte mit der Schuhspitze im Matsch, dann sah er plötzlich mit einem Grinsen hoch. Seine Zähne waren weiß und erstaunlich kräftig. »Hat gemeint, du gibst mir auch was, wenn ich mich zusammennehm und dich schön die Hausmauern entlangführ.«
Mrs Blacks unverhoffte Freundlichkeit war zu viel für mich. Tränen liefen mir über die Wangen. Ich gähnte ausgiebig und rieb mir die Augen mit den Fäusten, damit der Junge nicht merkte, dass ich weinte, und mich bemitleidete.
»Is aber nicht wichtig«, sagte der Junge beschwichtigend und streckte mir eine Hand hin. Ich funkelte ihn an. Da überlegte er es sich anders, vergrub rasch die Hand in seiner Hosentasche und zuckte die Schultern. »Ich mein ja bloß. Mach dir mal keine Sorgen wegen des Trinkgelds, wenn du keins hast.«
Wenn das ein Trick war, dann war er wirklich raffiniert. Ich hatte weder die Kraft noch die Lust, mich weiter zu sträuben, und folgte ihm achselzuckend.
Die Straße war mit Steinen gepflastert und so breit, dass der Heuwagen eines Bauern
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