Der Apotheker: Roman (German Edition)
zwei räudige Köter aufeinander los und verbissen sich ineinander – ein sich windendes, knurrendes achtbeiniges Knäuel aus Zähnen und Geifer. Aufkreischend stolperte ich weiter. Das Herz schlug mir heftig gegen die Rippen, und in meinem Kopf toste ein wildes Brausen. Der Junge drehte sich ungeduldig nach mir um und winkte mir, mich zu beeilen. Um Fassung ringend, ballte ich die Hände zu Fäusten. Als Kind war ich einmal furchtbar von einem Hund gebissen worden und hatte daher schreckliche Angst vor diesen Kötern. Unwillkürlich tastete ich nach der Narbe, einer zerfransten blauroten Naht zwischen Genick und Schulter. Ich rief dem Jungen zu, langsamer zu gehen und mir nicht davonzurennen, aber er war zu weit entfernt, um mich in all dem Krach zu hören. Ich biss mir auf die Lippen und hastete ihm auf zitternden, unsicheren Beinen hinterher.
Ich hatte ihn fast eingeholt, als vor uns ein Gentleman mit rothackigen Schuhen und einem Degen von einem schmutzstarrenden Lastenträger angerempelt wurde, der einen Handkarren mit Kisten balancierte. Mit einem gellenden Wutschrei wirbelte der Gentleman herum und stieß den verdutzten Träger kopfüber in den Rinnstein. Schon im nächsten Augenblick hatte sich eine Menschentraube gebildet, feixend und höhnend stachelte sie die beiden an, aufeinander loszugehen. Männer mit fleischigen Gesichtern und Rotzbengel drängten sich heran, um noch besser sehen zu können. Der schale Geruch nach Bier und altem Schweiß vermischte sich mit den Ausdünstungen aus Mündern, Körpern und schmuddeligen Kleidern. Ein Gestank wie in einem Mäuseloch. Jemand trat mir mit seinem schweren Stiefel auf den Fuß. Heulend vor Schmerz, versuchte ich zwischen den Männern durchzuschlüpfen, aber sie standen dicht wie einander überlappende Dachziegel, ein Durchkommen war unmöglich. Der grobe Stoff ihrer Röcke kratzte mich an den Wangen. Hinter mir hörte ich das dumpfe Knirschen einer Nase, die von einer Faust getroffen wurde. Die Männer johlten ausgelassen, aber trotz ihrer Belustigung lag jetzt etwas Hässliches in ihren Gesichtern, eine unersättliche Gier. Noch ein Schlag, dann ein schrilles Quieken wie von einem Ferkel. Ein Aufschrei ging durch die Menge, die sich noch dichter zusammendrängte. Einen Augenblick lang geriet ich aus dem Gleichgewicht und wäre fast gestürzt. Im letzten Moment fing ich mich aber wieder und stemmte mich mit einer Schulter voran gegen die Menschenmauer, um hindurchzuschlüpfen. Doch ich wurde immer wieder zurückgeschoben. Jemand fluchte. Ich spürte die harten Knöchel einer Faust an meinen Rippen. Eine Hand zog an meinem Kleid. Aus dem Augenwinkel sah ich eine Messerklinge aufblitzen. Ich war nahe daran, laut aufzuschreien.
»Komm schon, weiter!«
Eine leise Stimme, die trotz des Lärms klar und deutlich an mein Ohr drang, wie aus einem Traum. Jemand ergriff meine Hand. Auf meiner eiskalten Haut fühlten sich die fremden Finger warm und energisch an. Beruhigend. Wütend versuchte ich mich loszumachen.
»Lass mich, du Dieb und Taugenichts!«
Die Hand packte noch fester zu und verdrehte mir den Arm. Die Männer schubsten und schoben, mit den Ohren streifte ich schmerzhaft ihre rauen Rockärmel. Verzweifelt kämpfte ich mich weiter. Und plötzlich war ich frei. Die Männer hinter mir, des Gaffens überdrüssig, fielen übereinander her, es hagelte Schläge und Flüche. Blut spritzte auf die grauen Steine der Gosse. Der Botenjunge sah mich an und ließ meine Hand los.
»Komm schon, weiter jetzt«, sagte er erneut und deutete auf die andere Straßenseite.
Ich folgte ihm durch das gefährliche Gedränge der Wagen und Kutschen. Meine Hände zitterten, mein Gesicht war heiß vor Wut und Angst. Die Angst tat ich als Anflug von Panik ab, die jeden befällt, der von Müdigkeit und Hunger geschwächt ist. Hätte der niederträchtige Wurm in meinem Bauch mir nicht all meine Kraft und Energie geraubt, wäre ich für solch törichte Fantasien ganz gewiss weniger empfänglich gewesen. Doch meine Wut ließ ich mir nicht nehmen, sondern hielt dankbar daran fest. Sie richtete sich gegen den Jungen, der in eine enge Gasse einbog und mir winkte, an seiner Seite zu bleiben. Es war jetzt zu spät für irgendwelche Spitzfindigkeiten, sagte ich mir aufgebracht. Nachdem er mir so deutlich seinen Leichtsinn bewiesen hatte, konnte er doch gewiss keine Dankbarkeit von mir erwarten. Schon richtig, ich war keinen Augenblick ernsthaft in Gefahr gewesen. Und doch, sagte ich mir
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