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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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entschlossen, wäre ich allein gewesen, hätte ich die Gefährlichkeit der Situation schneller erkannt und wäre ihr ausgewichen. Ich war nicht gerade weltklug und weit gereist, wie es das Vergnügen reicher Leute ist. Aber als Tochter einer gewitzten Mutter hatte ich schon viele verschlagene Subjekte kennengelernt, die die Welt bevölkern und ihr ihr besonderes Aroma verleihen. Meine Mutter hatte mir beigebracht, stets auf das zu achten, was die Leute nicht sagen, den verborgenen Sinn ihrer Rede zu erkennen, der in der harten Schale der Worte verborgen liegt. Im Dorf war ich dafür bekannt gewesen, dass mein Verstand ebenso scharf war wie meine Zunge. Nur ein einziges Mal hatte ich meinen Leidenschaften die Herrschaft über meine Instinkte überlassen und für diese Dummheit einen sehr hohen Preis bezahlt. Einen solchen Fehler würde ich nicht noch einmal begehen. In London würde es niemandem gelingen, mich hereinzulegen.
    Aus diesen Gedanken schöpfte ich Trost, und ich wiederholte sie mir immer wieder, bis mein Herz nicht mehr gar so heftig pochte. Als wir schließlich vor einer Ladentür stehen blieben und offenbar unser Ziel erreicht hatten, spuckte ich auf den Boden, damit es mir Glück brachte, und entließ den Botenjungen mit einem flüchtigen Grinsen als Dank.
    Aber er trollte sich keineswegs, sondern wich nicht von meiner Seite, während ich die Glocke läutete. Sie hallte im Laden wider und verstummte. Niemand kam. In die Tür war eine kleine Klappe eingelassen, durch die die Kunden in Augenschein genommen werden konnten, bevor man sie hereinließ, aber auch sie blieb geschlossen. Ich spürte, wie mein Herz erneut schneller zu schlagen begann, als ich ans Fenster trat und ins Innere spähte. Zwar brannte kein Licht, aber auf dem Fensterbrett standen dicht gedrängt dunkelfarbige Flaschen und andere Gefäße, dazwischen, auf einem niedrigen Pult, ein großes, aufgeschlagenes Buch und daneben ein Tablett mit bunten Steinen, aufgefädelt auf Lederbändchen, sowie ein vergilbter Totenschädel. Weiter hinten konnte ich ganz vage einen Ladentisch mit größeren Flaschen erkennen und den Durchgang zu einem anderen Raum. Um besser sehen zu können, trat ich noch näher ans Fenster. Von der Decke hing etwas Langes und Wulstiges. Als mein Atem die Scheibe beschlug, rieb ich mit dem Ärmel darüber und spähte nochmals hinein. Plötzlich neben mir ein Räuspern.
    »Mrs Campling?«
    Erschrocken trat ich einen Schritt zurück und blickte mich um. Meine Füße versanken in einer Schlammpfütze, doch hinter mir war niemand zu sehen.
    »Mrs Campling?«, fragte die Stimme erneut. »Ich bin Mrs Black.«
    In der Ladentür stand eine Frau mit verschränkten Armen, eine Frau, die aus exakt gezogenen Linien bestand. Ihr Gesicht war lang und streng, und dieser Eindruck wurde durch die vom Scheitel straff zurückgekämmten eisengrauen Haare noch verstärkt. Die Augen über den Kanten ihrer Wangenknochen waren kleine Schlitze, die Nase war ein schmales, spitz zulaufendes weißes Dreieck. Ihre schlichte weiße Haube war penibel gestärkt, als wäre sie aus steifem Papier gefaltet, und das steife Mieder ihres schmucklosen dunklen Kleides bildete unter den hervortretenden Schlüsselbeinknochen ein weiteres exaktes Dreieck, das ihrem Körper alles Weiche und Runde nahm. Unmöglich, sich vorzustellen, dass sie vor Wohlgefühl aufseufzte, wenn sie am Ende des Tages ihr Korsett löste, oder dass sie überhaupt einmal wohlig aufseufzte. Ein Mann hätte sich an ihr wohl schon hundert Mal geschnitten, bevor er überhaupt seine Hosenknöpfe aufbekäme.
    Mrs Black musterte mich und trommelte sich dabei mit knochigen Fingern auf die Arme. Ich blickte ängstlich über die Schulter. Bis auf den Botenjungen, der immer noch wartend von einem Fuß auf den anderen trat, waren wir allein. Der eiserne Schlüsselbund an ihrer Hüfte klapperte ein wenig bei der Bewegung ihrer Finger. An einer separaten Schlinge neben den Schlüsseln baumelte eine Birkenrute, deren abgewetzter Ledergriff sich der Form ihrer Finger angeschmiegt hatte.
    »Sie sind doch Mrs Campling, oder?«
    Noch immer zögerte ich. Vielleicht war es ein Trick. Wenn ich bejahte, würde dann eine Strafe folgen? Schließlich waren es seine Angehörigen, die mir diese Stellung verschafft hatten. Seine Familie hatte mich nicht als Ehefrau ihres Sohnes hierhergeschickt, ganz bestimmt nicht. Der Name Campling durfte gewiss unter keinen Umständen besudelt werden. Für sie war ich nichts

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