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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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jenen Frauen auf, die sündig sind, gottlos & verdorben, doch die Frau selbst spürt dies nicht, & sie leidet nicht. Sie empfindet keinen Schmerz. Es ist das Kind, das den bitteren Makel ihrer Sünde tragen muss, das Kind, das die Welt als Missgeburt betrachtet.
     
    DIE MINDERWERTIGE FRAU EMPFINDET KEINEN SCHMERZ

XIII
    A ls ich erwachte, war es Morgen. Kaltes graues Licht glättete die spitzen Winkel des Zimmers und bebilderte die Geräusche des neuen Tages: das Hufgetrappel der Pferde und das Rattern der Kutschen, das dröhnende Rumpeln der Händlerkarren, das Rufen der Marktschreier. Es war schon spät. Ich versuchte, den Kopf vom Kissen zu heben, aber er war schwer und dumpf, noch voller Schlaf, Augen und Mund sandig und trocken. Mit Mühe schaffte ich es, den Kopf zu drehen. Neben mir lag Mary mit offenem Mund auf dem Rücken, ihr zerknülltes Kissen übersät von Speichelflecken. Mir war flau zumute, wie bei einer bösen Vorahnung. Warum hatte uns die Herrin nicht aus dem Bett gescheucht? Ich zog mir die verknäulten Decken über den Kopf, schloss die Augen und wollte mich wieder in den Schlaf verkriechen. Eine meiner Hände kribbelte vor Taubheit, als hätte ich die ganze Nacht darauf gelegen, und ich krümmte schlaftrunken die Finger. Mary würde mich schon wecken, wenn es so weit wäre. Für einen Wirrkopf war sie erstaunlich zuverlässig.
    »Colly Mollys Kuchen! Colly Mollys Kuchen!«
    Wieder dieses beklemmende Gefühl in den Eingeweiden. Widerstrebend zog ich die Decken von meinem Gesicht und rappelte mich mühsam hoch. Colly Molly, der Konditor, kam an unserem Haus gewöhnlich erst gegen neun Uhr vorbei. Mein Atem malte kleine Wölkchen in die eisige Luft, als ich Mary an der Schulter rüttelte. Sie grunzte im Schlaf und schmatzte, wachte aber nicht auf. An einem Nagel hing mein Mieder, schlaff und formlos, aber ich konnte mich immer noch nicht aufraffen. Ich verspürte nur ein Frösteln und eine Angst, die mir Übelkeit verursachte. Eine Eisschicht glitzerte innen an der Fensterscheibe. Es war bitterkalt.
    Auf der Treppe waren energische Schritte zu hören, kurz darauf wurde unsere Tür aufgeschlossen. Die Herrin.
    »Wir haben heute alle verschlafen. Nun aber auf und rasch nach unten«, meinte Mrs Black kurz und knapp, es war jedoch nichts Hartes in ihrer Stimme.
    Eilig kletterte ich aus dem Bett und hielt den Atem an, als meine bestrumpften Füße den kalten Boden berührten. Mrs Black war nicht ins Zimmer gekommen, sondern polterte schon wieder die Treppe hinunter. Zitternd vor Kälte zog ich mir das Kleid über und rief Mary zu, sie solle endlich ihren faulen Hintern aus dem Bett hieven. Sie kniff geblendet die Augen zusammen, hob ein wenig den Kopf und ließ ihn wieder aufs Kissen sinken.
    »Lass mich«, murmelte sie, fast schon wieder im Schlaf.
    Ich zog heftig an den Bändern meines Korsetts und schnürte es so eng, wie ich es gerade noch ertragen konnte. Das gab mir einen gewissen Halt. Dann stopfte ich mir das Haar unter die Haube, schlüpfte in die Stiefel und zog mit einer ausholenden Armbewegung der auf dem Bauch liegenden Mary die Decken weg. Sie schrie auf und verzog das Gesicht, verwirrt und empört.
    »Hast du die Herrin nicht gehört?«, sagte ich leise. »Steh auf. Glaub bloß nicht, dass ich für dich die Arbeit erledige.«
    Mit meinen kalten Händen rieb ich mir die Arme warm und stapfte durchs Zimmer. Glocken schlugen im Konzert die Stunde. In der nachfolgenden Stille begann wütend ein Hund zu bellen. Ich blieb stehen. Angst stieg mir die Kehle hoch wie Erbrochenes. Ich schluckte und schüttelte den Kopf, um meine Benommenheit zu vertreiben. In der blau gestreiften, gesprungenen Schüssel stand zwei Finger hoch eiskaltes Wasser. Tapfer tauchte ich die Hände hinein und wusch mir das Gesicht.
    Das eisige Wasser tat mir an den Schläfen weh. Ich presste die Finger auf meine Augen und wartete, dass der Schmerz nachließ. Plötzlich öffnete sich der rot-schwarze Schleier hinter meinen geschlossenen Lidern, und aus einem Rachen mit silbern glänzenden Zähnen brandete ein grässliches Gebrüll. Die Erinnerung an die Schreckensgestalt jagte mir einen Schauer über den Rücken, und ein bitterer, ekliger Geschmack schoss mir in den Mund. Rasch zog ich den Nachttopf unter dem Bett hervor. Mir war hundeelend.
    Benommen hob Mary den Kopf und zupfte an ihrem verstrubbelten Haar, aber ich würdigte sie keines Blickes. Ich musste so schnell wie möglich aus der Dachkammer hinaus. Mit meinem

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