Der Apotheker: Roman (German Edition)
genau, schau nur. Schau genau hin.«
Er atmete schwer, als wäre er gerannt. Ich sah ihn an. Ungepudert war das Mal auf seiner Wange von mattem Purpur wie Brombeersaft. Die Haut wirkte pockennarbig und rau. Zur Nasenwurzel hin verblasste das Mal immer mehr, wie ein Weinfleck auf dem Tischtuch, und auf der Stirn, wo es uneben und schwielig war, hörte es plötzlich auf, was einen scharfen Kontrast zu seiner gelblich wächsernen Gesichtsfarbe bildete. Der Apotheker verfolgte genau, wohin meine Augen wanderten, und fuhr mit den Fingerspitzen den erhöhten Rand des Mals entlang, um meinen Blick darauf zu lenken. Umgeben von dem stumpfen Purpur, schien das Weiße des rechten Auges von lebhaftem Rot und sein schwarzer Mittelpunkt nicht größer als ein Nadelstich zu sein. Ich rutschte betreten hin und her und schlug die Augen nieder.
»Nun? Was siehst du?«
»Ich …«
»Dich ekelt. Gewiss hältst du mich für eine Missgeburt, ein so rotbackiges junges Ding wie du.«
»Nein, Sir, nein … das heißt, ich …«
»Ja?«
»Es … es sieht gar nicht so schlimm aus«, flüsterte ich.
Der Apotheker gab ein seltsames, würgendes Schnauben der Erheiterung von sich. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen.
»Gar nicht so schlimm. Tatsächlich? Ich will dir etwas sagen. Mein ganzes Leben lang haben die Menschen mein Gesicht angegafft und nur eines wahrgenommen, nämlich dieses Mal auf meiner Haut. Für sie bin ich weder ein guter Ehemann noch ein treuer Freund und nicht einmal ein kluger und origineller Kopf. Für sie bin ich einzig und allein das hier, dieser Fleck verunstalteten Fleisches! Eine Mensch gewordene Entstellung!«
Er griff nach dem hölzernen Lineal und schlug damit heftig auf den Tisch. Ich zog den Kopf ein, verschränkte die Hände fest im Schoß und wappnete mich gegen den Schlag.
»Mein ganzes Leben lang habe ich unter schrecklichen Träumen gelitten.« Nun sprach er wieder mit sanfter Stimme und schmiegte dabei die gefleckte Wange in die hohle Hand. Ich musste mich anstrengen, um ihn zu verstehen. Mein Rücken und meine Eingeweide schmerzten. Ich schlang die Arme um meinen Bauch und wünschte mir nur, dass diese Unterredung endlich aufhörte. »Erscheinungen, die mich im Dunkeln verfolgen und deretwegen ich schweißgebadet und mit einem Schrei in der Kehle aufwache. Du wirkst überrascht. Vielleicht dachtest du, ein Mann der Wissenschaft sei unempfänglich für solch eingebildete Schrecken oder würde sie sogar als Albernheiten abtun. Aber da irrst du dich gewaltig. Ich habe sogar mit einer Untersuchung dieser Phänomene begonnen. Jawohl. Eine Untersuchung für niemand Geringeren als die Royal Society. Und dazu benötige ich deine Hilfe. Selbst ein einfaches Hausmädchen wie du kann dazu beitragen. Für einen Mann der Wissenschaft zählt die Wahrheit mehr als die Abstammung eines Menschen. Los, fangen wir an. Wir haben schon genug Zeit vergeudet.«
Seine schmeichlerischen Worte hatten einen hysterisch beschwörenden Beiklang wie bei einem Propheten oder einem Geisteskranken. Die Kerzen tropften. Das Lineal zuckte in seiner Hand und streifte sanft die Tischkante, als ich mit größter Vorsicht die Tasse zum Mund führte. Die Schokolade war kalt geworden, und eine klebrige Haut heftete sich an meine Lippen, die ich angeekelt mit den Fingernägeln abzog. In meinem Schoß klapperte die Tasse auf dem Unterteller. Da wusste ich, dass dies nie enden würde, dass ich für immer in diesem Zimmer bleiben würde, wenn ich ihm nicht das erzählte, was er hören wollte.
»Wie Sie wünschen, Sir.«
»Ausgezeichnet.«
Das Gesicht meines Herrn wirkte jetzt angespannt, seine Augen blinzelten fieberhaft. Dann räusperte er sich, zog einen Stapel Blätter zu sich heran und begann mit seinen Fragen. Was für eine Art von Traum das gewesen sei. Ob ich geglaubt hätte, zu schlafen oder wach zu sein. Wie mein Puls und mein Magen darauf reagiert hätten. Ob ich vor Angst geschwitzt oder ruhig Blut bewahrt hätte. Ob ich Todesangst gehabt hätte. Krämpfe oder Blutungen.
Zuerst gab ich nur knappe Antworten, denn jeder Satz, so zögerlich er auch kam, kostete mich eine große Überwindung, aber je länger die Befragung dauerte, umso mehr löste sich zu meiner eigenen Überraschung meine Zunge. Die Worte sprudelten in plötzlichen, unerwarteten Schüben wie eine reinigende Woge aus meiner Brust. Es tat gut, sie loszuwerden.
Erleichtert stellte ich fest, dass meine Antworten offenbar den Erwartungen meines Herrn
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