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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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Schienbein auf.
    »Sieh nur, wie du das Kind verstört hast«, fuhr mich Mrs Black an, als sie später in die Küche kam.
    »Du wirst für den Rest des Monats kein Rindfleisch mehr essen. Seine melancholischen Dünste haben dich bereits befallen.«
    Mary hingegen vermied es, mich anzusehen. Ihre Wangen waren rot gefleckt, und ihre Handrücken glänzten von getrocknetem Rotz.
    Nachts, wenn das Feuer und die wenigen schwachen Lichter in den Häusern gegenüber erloschen waren, war es in der Küche beängstigend finster. Vom Fenster in der Dachkammer aus konnte man, wenn man den Hals reckte, nicht nur die Kuppel, sondern auch den Lichterglanz von Cheapside sehen, noch spät in der Nacht. In den Winternächten, in denen der Mond nur schwach leuchtete, mussten die Anwohner gemäß einem städtischen Gesetz bis Mitternacht Lampen nach draußen hängen, sodass sich deren Lichtkegel aneinanderreihten. Aber die Küche lag im Souterrain, und außerdem war unsere Gasse viel zu abgelegen, um an eine solche Pflicht gebunden zu sein. Irgendwo jenseits des Fensters durchkreuzte die Kuppel den Himmel wie ein Leitschiff, unempfänglich für meinen Kummer. Sie würde sich nicht an mich erinnern.
    Meine erste Nacht allein in der Küche war windig und regnerisch. Draußen knarrten und quietschten die Ladenschilder, und ein wahrer Sturzbach ergoss sich aus einem Abflussrohr an der Hausmauer und bespritzte das Küchenfenster mit Schlamm. An den morschen Stellen im Fensterrahmen tropfte das Wasser nach innen. Gelegentlich hasteten, für mich unsichtbar, Beine vorüber und ließen die Scheibe klirren. Einmal hatte ich zufällig gehört, wie die Frau des Kerzengießers von Dieben erzählte, die aus einem offenen Fenster zwei neue und wertvolle Vorhänge direkt von der Stange gestohlen hatten. Heutzutage, hatte Mrs Dormer geseufzt, seien die Langfinger so dreist, dass sie am helllichten Tag in ein Haus einstiegen und alles, was nicht niet- und nagelfest sei, davontrügen, bevor man noch »Haltet den Dieb!« rufen könne. Solche Schurken, fügte sie im Brustton der Überzeugung hinzu, seien an ihren weißen Strümpfen zu erkennen. Doch in der Nacht war es zu finster, um festzustellen, ob jemand weiße Strümpfe trug.
    Fröstelnd wickelte ich mich in die dünne Decke ein. Unter meinem Strohsack stieg feuchte Kälte vom Steinfußboden auf, die vom Gestank der Senkgrube im Keller darunter durchtränkt war. Sehnsüchtig dachte ich an die schrägen Wände unserer Dachkammer, den hefigen Geruch unseres Bettes und die Kuhle, die es in der Mitte bildete. Mir fehlte Marys Körper neben mir, ihre Wärme und sogar der nervtötende, klebrige Laut, wenn sie an ihrer Zunge sog. In der Küche hörte man die Straßengeräusche bedrohlich laut. Ich vernahm das Schmatzen schlammiger Stiefel vor dem Fenster. Die Schritte wurden langsamer und hielten schließlich inne, worauf eine Laterne zitronengelb durch den niedrigen Fensterausschnitt schimmerte und die Regentropfen auf der Scheibe in tausend glitzernde Splitter verwandelte. Mir blieb das Herz stehen.
    »Elf Uhr vorbei und eine regnerische Nacht«, keuchte der Nachtwächter, stampfte mit dem Fuß in den Schlamm, hob seine Laterne hoch und ging weiter.
    Plötzlich und unerwartet schlief ich ein. In jener Nacht kam das Ungeheuer durch das Fenster zu mir, zwängte seinen grässlichen Schädel durch die enge Öffnung. In der folgenden Nacht sprang es mich von der Tür aus an, in der Nacht darauf lauerte es in dem Alkoven, den wir als Vorratskammer benutzten. Jedes Mal war es von einem gleißenden Feuerkranz umhüllt, der sich wie ein Siegel in meine Lider brannte. Jedes Mal schnürte mir Angst die Kehle zu und ließ mir die Haare zu Berge stehen, bis mein Körper schier verglühte. Und jeden Morgen befahl mir Mrs Black, nachdem ich meinen Tee getrunken hatte, die Hände vorzustrecken, um meine Strafe entgegenzunehmen. Wenn ich weinte, sog sie die Backen so fest nach innen, dass die Wangenknochen die Haut zu durchstoßen drohten. Eines Morgens sollte ich ihr auf der Gasse die Fußabdrücke des Ungeheuers zeigen, dessen Vorhandensein ich steif und fest behauptete. Ich fand keine, nur zertretenen Schlamm und einen einzigen frischen Stiefelabdruck, und wusste nicht, ob mich das nun trösten oder in heillosen Schrecken versetzen sollte.
    Ich wurde krank. Mein Kopf dröhnte vor Erschöpfung. In den Lenden hatte ich so starke Schmerzen, dass ich beim Bücken den Rücken mit beiden Händen stützen musste. Meine Augen

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