Der Apotheker: Roman (German Edition)
gelaunt war, wollte sie mich glauben machen, das spiele keine Rolle. Mein Gesicht, meinte sie bedächtig, sei wohl nicht als hübsch im landläufigen Sinn zu bezeichnen, strahle aber eine Sinnlichkeit aus, die mir nützlich sein könne, wenn ich sparsam damit umginge. Mädchen von schönem Äußeren, erklärte sie, könne man in zwei Klassen einteilen: jene, die Männer gern in Glasvitrinen ausstellen wie Püppchen, und jene, deren sie sich lieber anderweitig bedienen. Ich gehörte, so versicherte sie mir, zur letzteren Art. Das Versprechen, das in einem Gesicht wie dem meinen liege, könne einen Mann sehr wohl dazu bewegen, wider besseres Wissen zu handeln.
Ich glaubte ihr, weniger weil ich ihr recht gab, sondern weil mich die Sache kaum oder überhaupt nicht interessierte. Ans Heiraten hatte ich keinen Gedanken verschwendet, bevor ich ihn traf. Meine Träume drehten sich allein um Newcastle, eine prächtige Stadt, viele Kilometer von den Grenzen unserer unbedeutenden kleinen Gemeinde entfernt. Ich war ungefähr sechzehn, eine Frau, die man vielleicht schon längst hätte in die Welt hinausstoßen sollen, damit sie ihren eigenen Weg fand, wäre meine Mutter nur bereit gewesen, mich loszulassen. Ich war halsstarrig und eigensinnig, aber dennoch jung für mein Alter, und ich beherrschte noch nicht die heikle Kunst des Scharfsinns und der Besonnenheit. Stets lebte ich nur für den Augenblick; entweder war ich himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt, dazwischen gab es wenig anderes. Einem Mädchen von solcher Gefühlsart fällt es leicht, für diese widersprüchlichen Empfindungen eine höchst einfache Erklärung zu finden, und das tat ich auch: War ich mit ihm zusammen, fühlte ich mich glücklich und rundum lebendig; ohne ihn jedoch schleppten sich die Tage endlos dahin, trostlos und öde wie ein Acker im Winter. Ich war hingerissen von dieser schlichten Regel.
Keinem von uns beiden kam es in den Sinn, über die Zukunft zu reden. Wenn er mich zauberhaft, wunderbar und köstlich nannte, legte ich ihm meinen Finger auf die Lippen, damit sie schwiegen und sich warm und drängend auf die meinen senkten. Er beschenkte mich mit Kleidern, aber es war meine Mutter, die beim Anblick des scharlachroten Wollunterrocks mit breiter Spitzenborte und des schwarzen, mit blauem Samt gesäumten Schultertuchs vor Staunen und Freude in die Hände klatschte. Sie räumte die Sachen in den Wäscheschrank und zog dabei eine Miene, dass ihr braunes Gesicht an einen runzligen alten Apfel erinnerte. Das Sonett hingegen, das er mir zu Ehren gedichtet hatte, hätte ich am liebsten auf der Stelle verbrannt, bevor ich darin womöglich eine beleidigende Taktlosigkeit entdecken würde, doch meine Mutter bestand darauf, es in ein sauberes Tuch einzuschlagen und in der Blechbüchse auf der Anrichte aufzubewahren.
»Wir kriegen ihn«, murmelte sie triumphierend. »O mein Mädchen, wir kriegen ihn, du wirst sehen.«
Es war ein Spiel für sie, das ist mir jetzt klar, und ich mache ihr keinen Vorwurf daraus. Sie wusste, dass das Wagnis beträchtlich war und die Gefahr des Scheiterns groß. Aber sie wusste auch, dass uns die Zeit davonlief, ihr ebenso wie mir. Es hatte schon angefangen, dieses Getuschel und Geraune, das ihr zum Verhängnis werden sollte. Nichts Ungewöhnliches, wenn eine Frau alt und mürrisch wurde und die Befürchtung aufkam, sie könnte der Gemeinde zur Last fallen. Meine Mutter heischte nicht nach Almosen, aber der Gries in ihrem Urin machte sie reizbar und unleidlich. Selbst ihre eigenen, sorgfältig gemahlenen Präparate verschafften ihr kaum Erleichterung.
Es hätte keine von uns beiden überraschen sollen, dass man anfing, mit Fingern auf unser Häuschen zu zeigen. Einige Kinder im Dorf waren von seltsamen, unerklärlichen Malaisen befallen worden. Der Sohn des Bäckers, mit dem meine Mutter zornige Flüche austauschte, hatte Nadeln erbrochen; ein anderes Kind war fast zu Tode erschrocken, als ihm nachts plötzlich Katzen erschienen, die ebenso schnell wieder verschwanden.
Es spielte keine Rolle, dass es sich bei Letzterem um ein Kind handelte, das meine Mutter kaum kannte und mit dem sie keinen Streit hatte. Gerüchte kamen auf, sie würde in einer Lederschatulle unter ihrem Bett die Nachgeburt oder gar die Glückshaube der Säuglinge aufbewahren, denen sie zur Geburt verholfen hatte, um sich damit an jenen zu rächen, die ihr in die Quere kamen. Osborn, der Krämer, behauptete, die Zünglein seiner Waage würden von
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