Der Apotheker: Roman (German Edition)
sich zum Heimgehen anschickte, wurde ich wieder zu einem gewöhnlichen Mädchen, das mit seinen plumpen Stiefeln wie angewurzelt auf dem kalten Steinboden stand.
Von Anfang an behandelte er meine Mutter von oben herab, sprach zu ihr mit übertriebener Höflichkeit, als wollte er sich über sie lustig machen. Sie wiederum warf bei jeder seiner salbungsvollen Unaufrichtigkeiten den Kopf in den Nacken, die ihr eigene argwöhnische Miene von mädchenhaftem Eifer beseelt.
»Stets Ihr ergebenster Diener, Madam. Ich kann mir kein größeres Privileg vorstellen, als Ihnen zu Dank verpflichtet zu sein«, lautete gewöhnlich sein Spruch, bei dem er sich tief verbeugte, bevor er sich in den Schaukelstuhl fallen ließ und meiner Mutter erlaubte, ihm die Stiefel aufzuschnüren. Er gab sich nicht die Mühe, sie anzusehen, wenn er zu ihr sprach. Mit der Zunge befeuchtete er die Lippen, wenn er mir sein träges Lächeln zuwarf und den Blick über meinen Hals und den Ansatz meiner Brüste schweifen ließ.
Ich schäme mich, es zu gestehen, aber in jenen Augenblicken kümmerte es mich nicht im Geringsten, dass er sie demütigte. Er hätte meine Mutter eine Hure schimpfen oder sie als Königin von Saba preisen können, es wäre mir einerlei gewesen. Die Höflichkeitsfloskeln waren eine lästige Pflicht, doch mein Herz pochte so laut in meinen Ohren, dass ich sie kaum hörte. Ich dachte nur an den schweren Atem in meiner Brust, das erwartungsvolle Prickeln zwischen meinen Schenkeln. Solange er mich berührte, solange er mich anlächelte, mich liebkoste und seine Finger auf meinen bis zum Zerreißen gespannten Nerven eine Melodie spielten, die mich erbeben ließ, verlor ich keinen Gedanken an die Würde meiner Mutter. Solange dieses winzige Grübchen auf seiner Wange meinem Herzen seine Geheimnisse zuflüsterte, hätte er ebenso gut seinen Degen ziehen und meiner Mutter den Kopf abschneiden können. Ich hätte einen Grund gefunden, ihr die Schuld an dieser Untat zu geben.
Wenn ich zuließ, dass meine Begierde mich blind machte für seine Fehler, so galt dies auch für meine Mutter, nur dass ihre Begierde nicht zwischen ihren Schenkeln aufwallte, sondern in den dunklen Winkeln ihres Geldbeutels. Doch ihre Begierde war mindestens ebenso heftig wie die meine und ließ sie vor atemloser Erwartung erbeben. Ein Mal, nur ein einziges Mal, als ich verärgert war, machte ich mich über sein geheucheltes vornehmes Getue lustig. Nun ja, ich war verärgert. Wenn meine Mutter ihm etwas zu essen anbot, lehnte er gewöhnlich ab und behauptete, er habe keinen Appetit, starrte mich dabei aber mit unverhohlener Gier an. Dieses eine Mal jedoch lächelte er sie an und nicht mich und machte sich genüsslich und mit überschwänglichem Lob über einen Teller her, den sie ihm hingestellt hatte.
»Der feinste Hammelbraten, den du je gegessen hast?«, sagte ich, ihn höhnisch nachäffend. »Hältst du uns für solche Bauerntölpel, dass wir dein Geschwätz einfach schlucken? Aber wahrscheinlich sollten wir dankbar sein, dass wir überhaupt etwas zu schlucken haben. Eine Handvoll schaler Komplimente – vielleicht sollen wir uns daraus ein Essen zaubern, Mutter, jetzt, wo kein Fleisch mehr da ist?«
Er sagte nichts, sondern zog nur matt eine Augenbraue hoch und kaute mit fettverschmiertem Kinn weiter. Aber meine Mutter warf mir einen Blick zu, so giftig, dass sie damit einen Adler vom Himmel hätte schießen können. Als er gegangen war, gab sie mir einen Klaps auf den Kopf und wies mich wütend zurecht, ich solle endlich lernen, den Mund zu halten. Ob ich mich denn nicht ein wenig in Demut üben könne? Schließlich sei er der Sohn des reichen Kaufmanns Josiah Campling aus Newcastle, dessen Vater wiederum mit der Verschiffung von Kohle in den Hafen von London ein ansehnliches Vermögen erworben und der nun das Familienunternehmen um den noch lukrativeren Handel mit Negersklaven erweitert habe. Zwar sei der Junge nicht sein Erstgeborener, wohl wahr, aber es sei dennoch genügend Geld vorhanden, um ihm ein Leben in Wohlstand zu sichern. Die Familie wohnte in einem prächtigen neuen Haus etwa acht Kilometer von unserem Dorf entfernt. Dort ganz in der Nähe war ich ihm zum ersten Mal begegnet, als er von seinem Pferd gestiegen war, um uns beim Einbringen der ersten Ernte zuzusehen. Es war ein heißer Tag, und als wir die Plackerei unterbrachen, um im Schatten der Eichen etwas zu Mittag zu essen, hing der Staub des gedroschenen Weizens wie ein Gazetuch vor dem
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