Der Apotheker: Roman (German Edition)
nicht entgangen, dass sie etwas in ihren Armen hielt. Mein Herz machte einen Sprung, doch ich schloss die Augen und zog die Knie an meine vor Milch prallen Brüste. Zu etwas so Trügerischem wie Hoffnung würde ich mich nicht hinreißen lassen.
»Gott hat uns in seiner Gnade ein Kind geschenkt«, sagte Mrs Black forsch und streckte mir das Bündel entgegen. »Seine Mutter kann es nicht stillen. Es ist kränklich und schwach und wird nicht lange leben, aber wenn du es stillst, wird sein Leben ein wenig verlängert, gleichzeitig tust du dir damit selbst einen Gefallen. Es ist ungesund, dass sich die Milch in deinen Brüsten sammelt. Sie wird sauer und verhindert deine Genesung.«
Meine Hoffnung erstarb. Trauer und Verlust stürzten wie Aasgeier auf mich herab. Ich biss die Zähne fest aufeinander und drückte das Gesicht ins Kissen. Mrs Black setzte sich neben mich und hielt mir das Kind hin.
»Nimm es«, befahl sie.
Ich schüttelte wieder den Kopf, verzweifelter jetzt, und presste die Augen fest zusammen.
»Nein«, beharrte ich und drehte das Gesicht weg. »Nein. Ich … ich kann nicht.«
»O doch, du kannst«, sagte Mrs Black, beinahe vergnügt. »Und du wirst es tun. Wenn du hierbleiben willst, musst du dir Kost und Logis verdienen. Eine kranke Dienstmagd verursacht erhebliche Kosten. Wenn du uns nicht helfen kannst, das Geld aufzubringen, müssen wir dich auf die Straße setzen. Und zwar noch heute. Schwer vorstellbar, wie du so kurz nach der Entbindung allein und ohne Unterkunft zurechtkommen solltest. Mary!«
Mary lugte mit offenem Mund durch die Tür. Ihr Blick irrte unstet durchs Zimmer.
»Mary, du bleibst hier bei Mrs Campling, bis sie den Säugling gestillt hat. Dann wirst du ihn mir zurückbringen. Hast du verstanden?«
Mary senkte den taumelnden Kopf zu einem widerstrebenden Nicken, während Mrs Black ihr das Kind in die Arme drückte und mit dem Handrücken ganz leicht über dessen Wange strich. Dabei hielt Mary das Bündel unbeholfen und vom Körper weggestreckt, als käme es soeben dampfend heiß aus dem Backofen.
»Ruf mich, wenn es Probleme gibt. Und was dich betrifft, Mrs Campling, so ist es höchste Zeit, mit dieser unnatürlichen Kränkelei endlich aufzuhören. Dieser Säugling hier hat allen Grund zur Schwermut, da brauchst du ihn mit deiner düsteren Laune nicht anzustecken. Es wäre schlecht für dich, wenn herauskäme, dass du deine eigene Milch sauer werden lässt.«
Kaum waren Mrs Blacks Schritte verklungen, schoss Mary auf mich zu, setzte sich zu mir und bettete behutsam das Bündel in ihren Schoß. Als sie mir sanft eine Hand aufs Haar legte, streiften ihre Röcke meine Wange und erfüllten meine Nase mit Küchengerüchen. Mir schnürte sich die Kehle zu, so schmerzlich, dass ich nicht schlucken konnte.
»Lize traurig«, sagte sie kummervoll. »Arme Lize.«
»Geh weg.«
»Armer Dan’l«, sagte sie. »Dan’l so traurig.«
Ich stöhnte. Wenn sie doch nur aufhören und dieses Geschöpf wegschaffen würde. Ich bekam keine Luft.
»Armes kleines Baby«, murmelte Mary. »Schlimm weh, sieh? Schlimm weh.«
Die Zunge zwischen den schadhaften Zähnen hervorstreckend, begann sie sehr vorsichtig, das Bündel auf ihrem Schoß auszuwickeln. Als es anfing zu wimmern, kribbelten meine Brüste, und Milch tropfte heraus. Eine einzelne Träne rollte mir über die Wange.
»Schau, Lize«, sagte Mary leise. »Armes kleines Baby.«
Bekümmert schlug ich die Augen auf. »O mein … nein!«
Als ich es wegstieß, legte das Baby unglücklich sein Gesicht in Falten, weinte aber nicht. Sein Kopf trug einen dünnen schwarzen Haarflaum, und die Haut seiner Wangen war schuppig und rau. Aus seinem schmächtigen Oberkörper stachen die Rippen hervor wie die Spanten eines halb fertigen Bootes. Es war weder groß noch klein, weder blond noch dunkel. Sein Gesicht war weder engelsgleich noch tierhaft roh. Es war lediglich ein Säugling, ununterscheidbar von hundert anderen. Aber nur auf den ersten Blick, denn dieses Kind hatte keine Hände. Seine Arme ragten aus dem Rumpf wie zwei Stümpfe, die nicht einmal bis zum Ellbogen reichten. Jeder Stumpf wies eine Art Daumen und einen einzigen, sich wild bewegenden Finger auf, so kurz und stummelig wie der gekappte Ast einer Linde.
Vorsichtig berührte Mary mit ihrer Fingerkuppe einen dieser Stümpfe. Dann senkte sie den Kopf und küsste die glänzend vernarbte Haut, die sich darüberspannte. Einen Augenblick lang war das Kind still. Dann fing es an zu
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