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Der Apotheker: Roman (German Edition)

Der Apotheker: Roman (German Edition)

Titel: Der Apotheker: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clare Clark
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brach mir aus allen Poren. Mir ging das Bild nicht mehr aus dem Kopf, wie der Metzger Mary die Unterröcke und sich selbst die Hose vom Leib riss. Zornig stapfte ich hinter ihr her.
    Am Ende der Gasse sah ich gerade noch ihre Haube, als sie die Stufen zur Küche hinunterlief. Von hier aus wirkte das Haus klein und gewöhnlich, mit Tür und Fenstern wie die Nachbarhäuser, ununterscheidbar. Plötzlich hörte ich ein Klicken von etwas, das gegen meinen Eimer sprang, dann erneut. Etwas pikste mich am Ellbogen, wie der Stich einer Wespe. Ich blickte hoch. Auf der anderen Straßenseite lungerten zwei Jungen im Schatten herum, Kieselsteinchen in den Händen. Als sie mich sahen, kicherten sie und schossen davon. Ich bückte mich und hob die Eimer hoch. Sie waren leicht und abgesehen von zwei kleinen Steinen gähnend leer.
    Ich hatte das Wasser völlig vergessen.

Schon wieder eine Unterredung mit dem ungehobelten Jewkes. Ich bin mir sicher, er hat kein Wort von dem verstanden, was ich sagte. Ich könnte schwören, dass er noch nie den Namen Descartes gehört hat, ganz zu schweigen von den Grundzügen seines Denkens. Dass ein solcher Dummkopf es schaffen konnte, so überaus reich zu werden, ist ebenso ein Rätsel wie eine große Ungerechtigkeit.
     
    Trotz dieses enttäuschenden Gesprächs bin ich in nachdenklicher Stimmung, & während ich dies schreibe, kommt mir der Gedanke, dass Descartes’ These, wonach zum Funktionieren der »Maschine« bzw. des belebten Körpers weder Gehirn noch Seele nötig seien, für Christenmenschen nicht zutreffen kann, sehr wohl hingegen für Wilde & Idioten .
     
    Da Einbildungskraft & Erinnerungsvermögen Organe mit spezifischen Funktionen sind, ähnlich wie Herz und Leber, muss ein Idiot, dessen Körper den unwillkürlichen Vorgängen des Atmens, des Herzschlags, der Verdauung etc. unterliegt, ebenso den unwillkürlichen Vorgängen der Vorstellungskraft & des Erinnerungsvermögens unterliegen.
     
    Und was noch wichtiger ist – wie sehr wird ohne die Mittlerrolle des rationalen Geistes (der die Ursachen für Angst, Leidenschaft &c. erklärt) oder der göttlichen Seele (die vor den Exzessen der Einbildungskraft Schutz bietet) die Wirkung der Einbildungskraft gesteigert?
     
    O Gott, o mein gütiger & barmherziger Gott.
     
    Im Idioten findet man womöglich die gefährlichste Einbildungskraft überhaupt.

XX
    I n jener Nacht träumte ich von meiner Mutter. Es war ein beunruhigender Traum, voller Dinge, von denen ich wusste, dass sie ganz alltäglich waren, die ich aber dennoch nicht erkennen konnte. Es war nicht das Cottage, von dem ich träumte, sondern ein anderes Haus, das mir ebenso wie die weiteren Einzelheiten des Traums vertraut und fremd zugleich war. In diesem Haus streckte ich die Hand nach meiner Mutter aus, um sie zu schlagen oder zu umarmen oder vielleicht beides, aber sosehr ich mich auch mühte, sie blieb für mich unerreichbar. An ihrem Gürtel trug sie einen eisernen Schlüssel von der Größe einer Männerhand, mit dem sie herumspielte und den sie zärtlich wie eine Katze streichelte. Doch als sie sich umwandte, um mir zuzulächeln, hatte sie kein Gesicht. Beim Aufwachen pochte mir ein böser Kopfschmerz im Schädel, und ich erinnerte mich nur noch an diesen Teil des Traums. Geschieht ihr ganz recht, sagte ich mir, dass ich vergessen habe, wie sie aussieht.
    Bis sie es nicht mehr wünschen.
    Den ganzen Tag rackerte ich mich ab und schleppte die schweren Wasser- und Kohleneimer die Treppe hoch, bis meine Schultern schmerzten. In der unbarmherzigen Hitze war das Haus erdrückender denn je, und wenn ich ein Zimmer betrat, erschienen mir die Fensterstreben vor dem weißen Himmel wie Gitterstäbe. Ich stieß den Schrubber geräuschvoll auf den Boden und schrubbte, bis ich Blasen an den Händen bekam, Mrs Blacks Androhung zum Trotz, mich zu bestrafen, wenn ich zu viel Lärm machte. Mary war beim Apotheker, in dieser Woche schon zum dritten Mal. Plötzlich kam mir Mr Jewkes wieder in den Sinn, wie er sie mit seiner gierigen Metzgervisage lüstern angegrinst und ihr die Münze in die Hand gedrückt hatte. Könnte es sein, dass …? Ich schob diesen Gedanken beiseite, aber er drängte sich unter jene sechs unbarmherzigen Worte, bis ich mich seiner nur dadurch zu erwehren vermochte, dass ich gegen den Kaminrost trat, der polternd zu Boden schepperte.
    Das Mittagessen nahmen wir schweigend ein. Mary aß mit zäher Entschlossenheit, stopfte haufenweise Brot in sich hinein, das sie

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