Der Apotheker: Roman (German Edition)
mit offenem Mund in kreisförmigen Bewegungen kaute wie eine Kuh. Wieder stand mir der geile Mr Jewkes vor Augen, wie er mit der einen Hand Mary an der Schulter packte und mit der anderen an den Knöpfen seiner Hose nestelte. Mary blinzelte, als ich mit der Faust auf den Tisch schlug, und stopfte sich einen weiteren Brocken Brot in den Mund. Meine Mutter hatte also einen Handel abgeschlossen, ob zu ihrem oder meinem Vorteil, spielte keine Rolle. Es kam jetzt nur darauf an, dass sie ihn rückgängig machte.
Von einer plötzlichen Unruhe gepackt, schob ich meinen Teller beiseite und sprang auf. Ich würde meiner Mutter einen Brief schreiben und ihr mitteilen, ich könne zwar durchaus nachvollziehen, dass sie mit der Vereinbarung meine Stellung habe absichern wollen, mir selbst liege aber an einer solchen Regelung gar nichts. Ich wolle im Gegenteil lieber anderswo eine Stellung antreten, und zwar unverzüglich. Daher sei ich zuversichtlich, dass sie alle weiteren Pläne bezüglich meiner Zukunft in der Swan Street fallen lassen und eventuell noch ausstehende Geldbeträge begleichen werde. Im Gegenzug würde ich ihr regelmäßig einen bestimmten Teil meines Lohns zukommen lassen, sozusagen eine Leibrente für meine Freiheit. Sosehr mir ein solches Angebot gegen den Strich ging, wusste ich nur zu gut, dass allein ein Appell an ihre Menschenfreundlichkeit sie kaum dazu bewegen würde, mir zu helfen.
Mrs Blacks strenge Bewirtschaftung der Haushaltsvorräte galt auch für das Papier und das Tintenpulver des Herrn, das sie im Teeschränkchen aufbewahrte und nur in kleinen Rationen herausgab. Zum Glück für mich war Edgar ein lausiger Kopist und ein noch lausigerer Werfer. Ich musste nur ein paar Tage warten, und schon konnte ich ein zerknülltes Blatt aus dem Kamin retten, das nur an den Rändern leicht verkohlt war. Nach dem Abendessen, als Mary im Schaukelstuhl döste, zog ich das Blatt aus meiner Tasche, strich es auf dem Tisch glatt und schnitt mit dem Entbeinmesser den Teil ab, auf dem sich Edgar in Schönschrift versucht hatte. In der Schublade der Küchenanrichte lag immer ein Bleistiftstummel, damit Mrs Black bei Bedarf eine Einkaufsliste schreiben oder ein neues Rezept in das Buch notieren konnte, das zu diesem Zweck auf der Kaminbrüstung lag. Ich holte mir den Stummel und leckte ihn an.
Bisher hatte ich wenig Gelegenheit gehabt, mich im Briefeschreiben zu üben. Langsam und reichlich mühsam drückte ich die Hand auf das Papier. Das Binsenlicht brannte herunter, bis es nurmehr ein Fettfleck in der Schale war, mehr Rauch als Licht, und ich grübelte immer noch vor mich hin. Ich war so in meine Aufgabe versunken, dass ich Edgar erst bemerkte, als er die Tür hinter sich zugeschlagen hatte und sich in der Küche der schale Wirtshausgestank nach Portwein und Tabak ausbreitete. Ich wollte das Blatt in meiner Schürzentasche verschwinden lassen, aber Edgar war schneller. Er packte mich am Arm, drehte ihn mir auf den Rücken und entwand mir das Papier. Durch den Lärm wurde Mary wach und fuhr mit fuchtelnden Händen hoch.
»Sieh an, sieh an«, sagte er mit schwerer Zunge. »Wie interessant. Ein Bauerntrampel übt sich in der Kunst des Schreibens. Mit wem mag sie wohl Briefverkehr pflegen?«
Ich versuchte, ihm das Blatt zu entreißen, aber Edgar streckte rasch den Arm in die Luft und wedelte mit dem Blatt über meinem Kopf.
»Einen Moment, du gerissenes kleines Luder, einen Moment.«
Er drehte sich von mir weg und hielt das Papier so, dass er es im Lichtschein des Feuers lesen konnte. Erneut versuchte ich, es ihm wegzuschnappen, und erneut wich er mir aus. Mary wimmerte.
»Gib es mir zurück!«, schrie ich.
Edgar erwiderte nichts, sondern studierte das Blatt noch eingehender. Dann sah er mich an und hielt mir den Brief mit gezierter Geste hin.
»Sieh an, sieh an«, wiederholte er, als ich ihm das Papier aus der Hand riss und es wütend in meine Tasche stopfte. Er grinste boshaft. Mit der umständlichen Vorsicht eines Betrunkenen setzte er sich und klopfte einladend auf meinen Stuhl. Ich blickte ihn nur finster an.
»Ganz wie du willst«, meinte er achselzuckend. Plötzlich und zu meiner Verwirrung begann er zu lachen und hielt sich dabei wie ein Backfisch die Hand vor den Mund.
»Was soll das?«, wollte ich wissen, die Arme verschränkt. »Was findest du so lustig?«
Edgar öffnete den Mund, schloss ihn wieder, schüttelte den Kopf und hielt sich den schwabbeligen Bauch vor Vergnügen. Als Mary neben
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