Der Apotheker: Roman (German Edition)
mir meinen Arm ergreifen wollte, wehrte ich sie wütend ab.
»Was?«
»Ach, nichts. Es ist nur … na ja, du musst zugeben, dass es lustig ist. Die Vorstellung, dass dieses zahnlose alte Weib, das sich deine Mutter schimpft, diejenige sein soll, der du deine Stellung hier zu verdanken hast. Das ist … also, ich muss schon sagen, das ist ziemlich albern. Woher, meinst du denn, hat sie so viel Geld?«
Edgar kicherte in sich hinein. Ich zögerte.
»Was zum Teufel weißt du denn überhaupt?«, fragte ich mürrisch.
»Offenbar mehr als du.«
Ich starrte schweigend zu Boden.
»Zum Beispiel weiß ich zufällig, dass unser geschätzter Dienstherr ein Entgelt dafür bekommt, dass er dich hierbehält. Eine erkleckliche Summe übrigens. Und sofern deine Mutter nicht kürzlich in den Adel eingeheiratet hat, stammt dieses Geld mit größter Wahrscheinlichkeit nicht von ihr.«
»Ich soll wohl glauben, dass dir der Herr höchstpersönlich dies anvertraut hat? Das alles ist doch nur Klatsch, müßiges Geschwätz.«
»Natürlich gibt es viel Gerede über ein hübsches kleines Weibsstück wie dich. Aber in diesem Fall täuschst du dich. Ein Lehrling muss ein wachsames Auge auf alle Angelegenheiten seines Herrn haben, wenn er etwas lernen will, und über die Finanzen mindestens ebenso gut Bescheid wissen wie sein Lehrherr selbst. Jedenfalls, solange sein Gönner will, dass du hierbleibst, bist du, meine liebe Eliza, eine der wenigen Geldquellen des Herrn.«
»Sein Gönner?«
»Ich nenne ihn nur mal so. Vielleicht ist es ja dein Gönner. Der Gentleman jedenfalls, der dafür bezahlt, dass du hierbleibst. Und zahlen tut er ganz ordentlich. Was schaust du so entsetzt? Ein Mädchen in deiner Lage sollte dankbar dafür sein, dass Mr Black es sich nicht leisten kann, ein solches Angebot auszuschlagen.«
Ich starrte Edgar entsetzt an. »Niemand kann mich hier festhalten. Es gibt in London viele Haushalte, die Dienstboten benötigen. Ich kann gehen, wann immer es mir passt.«
»Ohne Zeugnis? Wohl kaum. Und selbst wenn du einen Dienstherrn findest, der dumm genug wäre, dich ohne Empfehlung zu nehmen, glaubst du denn, der Apotheker würde dich nicht verfolgen? Er ist zwar ein Dummkopf, gewiss, aber nicht so dumm, dass er ohne Weiteres seine goldene Gans davonflattern lässt. Würdest du fortlaufen, würde er in allen Zeitungen und Kaffeehäusern der Stadt Suchanzeigen aufgeben. Und sollten deine Eskapaden deinem Gönner zu Ohren kommen – na dann gute Nacht!« Er kicherte und zwickte mich fest in die Wange. »Wer weiß, was für eine Belohnung er dann für dein höchst unglückliches Ableben aussetzen würde?«
Am nächsten Tag wurde ich erneut nach Islington geschickt. Es war das erste Mal seit etlichen Wochen. Meine Herrin saß steif auf dem hohen dreibeinigen Hocker im Laden, das ledergebundene Hauptbuch mit den Kontoständen vor sich auf der Theke aufgeschlagen, notierte Bestellungen und übertrug die Umsätze der letzten Woche in die große braune Kladde. Mit klickenden Fingernägeln schob sie die abgenutzten Holzperlen auf dem Rechenbrett hin und her.
Es klopfte an der Tür. Zwei Männer in Manchesterröcken standen davor, der eine mit einem Handkarren, auf dem Stroh ausgelegt war. Mrs Black ließ sie herein und deutete mit dem Kopf auf das Barometer, das an der Wand gegenüber dem Spiegel im Flur hing. Als sein Begleiter es abnahm, musterte mich der Kleinere der beiden mit der kühlen Abschätzigkeit eines Sargschreiners.
»Was zum Teufel hältst du hier Maulaffen feil?«, sagte Mrs Black. Es dauerte ein wenig, bis ich begriff, dass sie mich meinte.
Brummelnd zog ich den Kopf ein und trottete die Stufen hinunter in die Küche. Mary war wieder einmal beim Apotheker, und der Hänfling hockte lustlos auf seiner Stange, das Gefieder glanzlos und zerzaust. Einige Augenblicke stand ich reglos in der düsteren Stille und starrte in meinen erdverkrusteten Korb. Dann gab ich mir einen Ruck, stieß die Küchentür auf und nahm zwei Stufen auf einmal. Seit Wochen schon, eingepökelt vom Gestank der Swan Street, hatte ich mich nach einer solchen Aufgabe gesehnt, hatte mir gewünscht, die Nase wieder einmal in das weite Rund des Himmels zu strecken und das Gedränge auf den Straßen zu spüren, das meine Lebensgeister wecken und mein Blut in Wallung bringen würde.
Während ich mich durch die enge Gasse schleppte, legte sich die schwüle Hitze wie ein Stein auf mich und sog mir die Kraft aus dem Leib wie ein Breiwickel.
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