Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)
leisten und sich gegen Sold mit Hunden zu befassen. Ja, es gibt sogar ein eigenes Reglement für den Dienst an und mit dem Hund und ganze Offizierskommissionen, die die Arbeit des einzelnen Hundes überwachen, ihm gute Bissigkeit andressieren. Und wenn der Unterhalt eines einzigen Welpen das Volk jährlich 11 000 alte, vorchruschtschowsche Rubel kostet (die Wachhunde werden nahrhafter gefüttert als die Häftlinge), dann wird sich der Unterhalt eines jeden Offiziers doch sicherlich nicht billig stellen?
Eine Schwierigkeit ergibt sich hier, die uns nicht zum erstenmal im Verlaufe dieses Buches in Verlegenheit bringt: Wie nennen wir sie überhaupt? «Natschalniks, Obrigkeit» klingt zu allgemein, bezieht sich auch aufs freie Draußen, aufs ganze Leben unseres Landes und ist reichlich abgegriffen obendrein. Für «Chefs» gilt das gleiche. «Lagerverwalter»? – eine Umschreibung, die unser sprachliches Unvermögen aufdeckt. Sollen wir sie unverhüllt nach Lagerart ansprechen? Grob und schimpfend würde es sich anhören. Durchaus im Geiste der Sprache wäre das Wort Lagermeister, eine Analogiebildung zu «Kerkermeister», die eine exakt umreißbare einzige Bedeutung hat: Männer, die den Lagern vorstehen und die Lager verwalten.
Nun also, wem ist dies Kapitel gewidmet? Den Lagermeistern (und Kerkermeistern zugleich). Wir könnten mit den Generälen beginnen, das wäre sogar schön, bloß: Wo das Material hernehmen? Unmöglich war’s für uns Sklavengewürm, über sie etwas zu erfahren, sie aus nächster Nähe zu besehen. Na, und wenn wir sie mal zu Gesicht bekamen, dann sprang uns der Glanz des Goldes in die Augen – erkannt haben wir wiederum nichts.
Nichts wissen wir demnach über die einander ablösenden GULAG-Chefs, diese Zaren des Archipels.
Die Ränge vom Oberst abwärts wollen wir uns in diesem Kapitel vorknöpfen, eine Weile über die Offiziere uns unterhalten, dann zu den Sergeanten übergehen, die Mannschaften der Bewachung rasch überfliegen – und Schluß, für uns reicht’s. Wer mehr aufgefangen hat, möge mehr darüber schreiben. Darin wurzelt unsere Beschränktheit: Solange du im Gefängnis oder im Lager sitzt, hast du für den Charakter der Kerkermeister nur insofern Augen, als es gilt, ihren Drohungen zu entgehen oder ihre Schwächen auszunutzen. Für den Rest willst du dich gar nicht interessieren, die Leute sind deiner Beachtung nicht würdig.
Heute aber, zu spät, greifst du dir an den Kopf, daß du ihnen zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Frage nach der Begabung wollen wir erst gar nicht stellen, nämlich: Ob ein Mensch, der zu irgendeiner, sei’s noch so simplen, nützlichen Tätigkeit befähigt ist, in den Gefängnis-und Lagerdienst treten kann? – und gehen gleich zur nächsten über: Kann ein Lagermeister überhaupt ein guter Mensch sein? Welchem System der moralischen Auslese unterwirft ihn das Leben? Die erste Auslese erfolgt beim Eintritt in die MWD-Truppen, in den MWD-Schulen oder -Speziallehrgängen. Jeder, der nur ein Körnchen geistige Erziehung genossen hat, der ein Minimum an Gewissensskrupel und eine winzige Vorstellung von Gut und Böse hat, wird instinktiv alle Hebel in Bewegung setzen, um nur ja nicht in diese finstere Legion zu geraten. Nun schön, wir wollen einräumen, daß dies nicht immer gelingt. Er tritt zur zweiten Körung an: Während der Ausbildung und der ersten Dienstjahre nimmt die Obrigkeit die Leute unter die Lupe und wirft alle raus, die statt Willensstärke und Härte (Brutalität und Herzlosigkeit) – Schlappheit (Güte) erkennen lassen. Danach folgt die langjährige dritte Auslese: Wer sich nicht vorgestellt hatte, wo er da landen würde und wofür er sich da hergeben müßte, der erkennt es nun und ist darüber erschrocken. Ein ständiges Werkzeug der Gewalt, ein ständiger Handlanger des Bösen zu sein ist immerhin nicht jedermanns Sache und nicht für jedermann auf Anhieb erlernbar. Denn sieh: Während du fremde Schicksale zertrittst, fühlst du in deinem Innern etwas sich spannen und platzen – und schon ist’s dir unmöglich, so weiterzuleben! Und dann beginnen die Menschen, spät, sehr spät, aber doch – sich loszureißen; sie melden sich krank, treiben ärztliche Atteste auf, wechseln auf schlechter bezahlte Posten, legen die Schulterstücke ab: alles, um nur fortzukommen, fortzukommen, fortzukommen!
Die übrigen aber, die haben sich demnach bestens eingelebt? Die übrigen, die haben sich also daran gewöhnt und sehen ihr Schicksal
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