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Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition)

Titel: Der Archipel GULAG: Vom Verfasser autorisierte überarbeitete und gekürzte Ausgabe in einem Band (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Solschenizyn
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nicht besaß).
    Im Lager wurde sie natürlich vom Vater getrennt …
    O ihr Jugendverderber! Wie wohlgefällig werdet ihr euer Leben beschließen? Werdet nirgendwo aufstehen, niemals errötend und stotternd gestehen müssen, welch einen Unrat ihr in die Seelen gegossen habt!

    Soja Leschtschewa aber verstand es, ihre ganze Familie zu übertreffen. Es begab sich so: Vater, Mutter, Großvater, Großmutter und die älteren, halbwüchsigen Brüder waren wegen des Glaubens über verschiedene ferne Lager verstreut worden. Soja zählte indes erst zehn Jahre. Man holte sie ins Kinderheim (Iwanowo-Gebiet). Dort erklärte sie, daß sie das Kreuz, das ihr die Mutter beim Abschied um den Hals gehängt hatte, niemals hergeben werde. Und machte einen festen Knoten in die Schnur, damit sie es ihr nicht im Schlaf abnähmen. Der Kampf dauerte lange. Soja verbohrte sich immer mehr in ihren Haß: Ihr könnt mich erdrosseln, erst wenn ich tot bin, gehört es euch! Daraufhin wurde sie in ein Heim für Schwererziehbare gesteckt. Dort war nun wirklich der Bodensatz versammelt; die Frischlinge führten ein Regiment, das sogar das oben beschriebene in den Schatten stellte. Der Kampf um das Kreuz ging weiter. Soja blieb standhaft, auch hier lernte sie weder stehlen noch fluchen. «Soll eine so fromme Frau wie meine Mutter eine Kriminelle zur Tochter haben? Da will ich lieber eine Politische werden, wie die ganze Familie.»
    Und sie ist eine Politische geworden! Je eifriger sich die Erzieher samt Rundfunk in Lobhudeleien auf Stalin ergingen, desto sicherer erriet sie, daß er die Schuld an allem Unglück trug. Die sie den Unterweltlern so erfolgreich getrotzt hatte – nun schwang sie sich selbst zu ihrer Anführerin auf! Im Hof stand eines der damals üblichen gipsernen Stalin-Monumente. Wie groß war nun der Schrecken der Erzieher, als sie eines Tages spöttische und unanständige Kritzeleien darauf entdeckten! (Die Frischlinge haben allemal was fürs Sportliche übrig, man muß ihren Sportsgeist nur in die gewünschten Bahnen lenken.) Die Verwaltung ließ den Stalin überpinseln, die Verwaltung bestellte Aufpasser und meldete das Ganze dem MGB. Das Gekritzel hörte indes nicht auf, und die Kinder lachten sich ins Fäustchen. Eines Morgens schließlich lag der abgeschlagene Kopf neben der verstümmelten Statue, und im Hohlraum drinnen fand man menschlichen Kot.
    Ein Terrorakt! Ein Schwarm Geheimdienstler kam angefahren und fing nach allen Regeln ihrer Kunst mit dem Verhören und Einschüchtern an: «Liefert die Terroristenbande aus, sonst erschießen wir euch alle !» (Wär’s so verwunderlich gewesen? Große Sache, hundertfünfzig Kinder zu erschießen! Wenn Er das erfahren hätte – Er hätte von sich aus die Weisung gegeben.)
    Es bleibt offen, ob die Frischlinge fest geblieben oder klein beigegeben hätten, denn Soja Leschtschewa erklärte:
    «Ich habe alles ganz allein getan! Wozu wär denn dem Alterchen sein Kopf sonst gut?»
    Man stellte sie vor Gericht. Und verurteilte sie zum Höchstmaß, bitterernst war es ihnen damit. Weil aber das Gesetz über die Wiedereinführung der Todesstrafe so unerlaubt human war (1950), schien die Erschießung einer Vierzehnjährigen trotzdem irgendwie unpassend. Sie bekam den Zehner (ein Wunder, daß nicht fünfundzwanzig). Saß zunächst in gewöhnlichen Lagern, wurde mit achtzehn in ein Sonderlager überstellt. Die Geradheit und die scharfe Zunge brachten ihr noch eine zweite, dann, scheint’s, auch eine dritte Lagerfrist ein.
    Entlassen wurden Sojas Eltern, ihre Brüder, nur Soja saß weiter …
    Es lebe unsere Toleranz! Es leben die Kinder – des Kommunismus künftige Herren!
    Es melde sich das Land, das seinen Kindern soviel Liebe schenkt wie wir den unsern!

18
Die Musen im GULAG
Dieses Kapitel zählt die Versuche der Kultur-und Erziehungsabteilung (KWTsch) auf, die Seki umzuerziehen. Dazu gehörte es, sie in Gruppen von Malern, Bildhauern, Schriftstellern, Schauspielern und Propagandisten zu organisieren.

19
Die Seki als Nation
    (Eine ethnographische Abhandlung
von Iwan Iwanowitsch Iwanow)
Dieses Kapitel ist eine pseudo-ernste Abhandlung, die die Seki grimmig ironisch so beschreibt, als wären sie eine eigene Rasse.

20
Der Wach-, Beiß- und Kläffdienst
    Nicht zur absichtlichen, grimmigen Beleidigung wurde das Kapitel so benannt, sondern, weil die Lagertraditionen es uns so gebieten. Überlegt mal: Die Leute haben ja aus freien Stücken dieses Los gewählt – selbst Wachhundedienst zu

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